Reclaim the Forest - Asuflug
Reclaim the Forest – Ausflug

Als sichtlich nicht-weiße Person in einer mehrheitlich-weißen sowie durch und durch rassistischen Gesellschaft zu leben, ist anstrengend. Geistig und körperlich. Angriffe, Pöbeleien, Mordanschläge, Pogrome, systematische Diskriminierung gegen Menschen, die so aussehen wie man selbst: das lässt einen permanenten Ausnahmezustand im Kopf entstehen. Dieser spiegelt sich bei vielen von Rassismus Betroffenen auch körperlich in einem zu hohen Blutdruck, Herzproblemen und sogar in veränderten Genen wider.

Momente, in denen man einfach nur entspannen kann, sind sehr rar, aber so wahnsinnig wichtig. Für mich und viele weitere Menschen mit denen ich zu tun hatte, seitdem wir die Initiative „Reclaim The Forest“ gegründet haben, ist die Natur ein Raum, der diese Entspannung ermöglicht. Vögelzwitschern, Ruhe, das leise Rauschen von Bächern und dem Wind im Blätterdach, allein das hat eine starke, beruhigende Wirkung.

Für mich kommen aber noch weitere Faktoren dazu, die spezifisch für mich als rassifizierten Menschen sind. Keine oder wenig Menschen um mich herum bedeutet: keine oder wenigstens deutlich weniger Rassist*innen. Um Hypervisibility – also die Tatsache, dass ich als vorgeblich „Fremder“ besonders unter Beobachtung stehe – muss ich mir keine Gedanken machen, wenn ich allein bin. Keine Frauen, die ihre Handtaschen an sich krampfen, keine Gedanken darüber, warum der ganze Bus voll ist, aber nur neben mir noch ein leerer Sitzplatz. Nur ich, der Wald und vielleicht noch ein paar Enten, die durchs Bild watscheln.

Himmlisch. Nach einigen Stunden im Wald merke ich, wie mein Nervensystem, das seit den Kindestagen im Ostberlin der 90er Jahre darauf getrimmt ist, meine Umwelt auf mögliche Gefahren zu scannen, runterfährt. Wie Gedanken, für die sonst kein Platz ist, hochkommen und ich reflektiere.

Natürlich ist der Outdoorbereich keine rassismusfreie Oase. Sonst würde sich die Vielfältigkeit der Gesellschaft auch in den Wäldern, auf den Wanderpfaden und den Gewässern zeigen. Tatsächlich gibt es jedoch viele implizite und explizite Ausschlüsse und Hürden, die es von Rassismus Betroffenen schwer machen, den Raum „Natur“ zu betreten. Man muss überhaupt erstmal rauskommen aus der Stadt, wofür man häufig auf das Auto angewiesen ist. Dann gibt es gerade in Ostdeutschland viele Orte oder gar ganze Regionen, in denen der Alltagsrassismus sowie Neonazi-Strukturen so stark sind, dass man sie als BIPoC meiden sollte. Sich bei den etablierten Verbänden einzuklinken ist auch keine Lösung, da man hier auf Leute trifft, deren Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus häufig in der Mitte des letzten Jahrhunderts stehengeblieben ist. Mit einer Truppe weißer Rentner*innen den Wald erkunden, die einen angucken, als käme man vom Mond, ist eben eher anstrengend als entspannend.

Daher gibt es jetzt uns! Wir bieten Ausflüge in die Natur für von Rassismus Betroffene an, sammeln Informationen zu sichereren Ausflugszielen, Unterkünften und Dienstleister*innen in einer Datenbank und wollen das Outdoor-Know-how in unseren Communities durch Bildungsarbeit stärken.

Damit stehen wir noch ganz am Anfang. Wir sind eine Graswurzelorganisation, die durch freiwillige Arbeit getragen wird. Und das wollen wir auch bleiben. Wir sind damit unabhängig von staatlichen Stellen, den großen Naturverbänden und Stiftungen. Das bedeutet allerdings auch, dass die komplette Orga von Ausflügen, das Schreiben von Artikeln und Datenbankeinträgen, Layouts, Betreuung von Social Media und so weiter in unserer Freizeit geschieht. Es gibt viele Organisationen in den USA, die mit dieser Arbeitsweise viel Gutes für ihre Communities tun.

Wir wissen, dass es viele Menschen of Color gibt, die super gerne mehr in die Natur gehen würde. Es kommt echt viel schönes Feedback herein. Für die Zukunft freuen wir uns darüber, wenn noch mehr Leute den kleinen Schritt in den Aktivismus wagen und ein bisschen mithelfen. Gemeinsam erreichen wir mehr! Beim Brainstorming für den nächsten Ausflug mithelfen, mal eine Route raussuchen, eine Location anschauen und einen Wiki-Artikel schreiben, mal jemanden mit dem Auto mit zu einem Ausflug mitnehmen, es sind häufig kleine Dinge, die schon viel ausmachen.

E-Mail: reclaimtheforest@protonmail.com

IG: www.instagram.com/reclaim_the_forest/

Wiki/Datenbank: reclaimtheforest.miraheze.org/wiki/Hauptseite

Inspo/Vorbilder: Black Girls Hike UK, Flock Together UK, The Hood Hikers, Fat Girls Hiking, Brown Girls Climb