Gewalt gegen Frauen* kommt in den meisten Fällen nicht etwa von dem fremden Vergewaltiger aus dem Busch, sondern ist oft hausgemacht. Ein Gedicht darüber, wie die Liebe zur Peitsche wird. Und, wie wir nicht spuren.
Einst erkannte ich meines zunächst
Nächsten wahre Gesinnung.
Vom romantisierten Reigen besessen
konnte ich schon zu leicht deine
Unzulänglichkeiten vergessen,
doch nicht deinen
berechnenden Hass vermessen
und verlor die Besinnung.
Denn genau das wolltest du doch,
mir den Boden unter den Füßen wegziehen,
den Lauf der Dinge auf
sich zurückbeziehen.
So belehrtest du mich
mit leeren Phrasen in
deinem nahezu lächerlich
grassierenden Kontrollzwang,
mit dem dir leidlicher Weise
das Unrecht gelang,
mich meiner eigenen
Authentizität zu berauben.
Du Irre, du Schlimme,
du Schl**pe hieß es plötzlich,
als ich deine Fehlbarkeiten
kapierte, reflektierte und kritisierte,
als ich dir nicht mehr hörig genug,
nicht mehr wie deine
personalisierte Gummipuppe erschien,
nicht mehr kompromisslos gehorchte
und nach deiner Peitsche spurte.
Nunmehr war ich ganz absonderlich,
schädlich und schändlich,
von meinem Background geschändet,
denn nicht verwunderlich,
agierte ich doch „wie alle anderen“,
Türkinnen und Möchtegern-Musliminnen.
Als Schwachsinn verdammst du
meinen feinen Sinn,
meine sündhafte Weiblichkeit,
ziehst dich aus der Affäre
und raubst mir meine Mündigkeit,
entledigst dich meiner Wenigkeit
und badest dich obendrein
in Selbstmitleid, verherrlichst dich
mit Selbstbeweihräucherung
entgegen meinem wachsenden,
zehrenden Leid.
Zuviel Macht, zu viel Hass war dir
in die Wiege gelegt worden.
Es schien, als ob nur dir und dir allein
die Deutungshoheit, dich Herrschaft
über mich gehörte.
Zuviel von deiner giftigen Macht,
zu viel von deinem Frauenhass
ließen alles an Güte
und Verständnis außer Acht,
betäubten meinen Geist,
lähmten meine Seele
und übertönten selbst
meinen eigenen Herzschlag,
sodass ich in der anbrechenden
Verfinsterung meines Bewusstseins
in Hoffnungslosigkeit versank…
Unmittelbar verfiel ich unausweichlich
dem Wahnsinn und erfuhr auch hier
zermürbende Fremdbestimmung.
Er drängte mich in die Tiefen der Hysterie…
Ist sie nur wahrnehmbar, doch abstoßend,
ist sie nur erkennbar, doch pathologisch,
ist sie nur akzeptierbar, doch unerträglich,
wenn ich sie nur und nur
im impulsiven Getue
innerhalb allgegenwärtiger
patriarchaler Perversion
in Launenhaftigkeit erlebe.
Kann meine Umnachtung
nur in femininer Wirrung
als hysterische Frau
in unsren Reihen
ausleben.
Denn nicht die psychisch Kranke,
nicht die Wahnsinnige, oh nein,
die Hysterische wird als solche
gar leidenschaftlich tituliert
und in bester inkompetenter Manier
diagnostiziert, aufmerksam Schritt für Schritt
kommentiert und sensationsgeil sexualisiert.
Ihr lautes Aufbegehren
wird zum zickigen Wimmern,
ihr nervöses Augenzucken
zum lüstern verzweifelten Klimpern…
Angst und Ohnmacht stoßen
auf blinde Augen, taube Ohren
und stumme Münder,
die verprügelt und verkrüppelt
von toxischer Männlichkeit
und unterwürfiger Weiblichkeit
Ignoranz und Verachtung
als angemessene Reaktionen
frönend verzieren sowie
Gewalttaten willkürlich als
Selbstverschuldung zusammenfantasieren.
„Denn… sie hat es doch so gewollt,
durch ihre Offenherzigkeit kommuniziert,
mithilfe ihrer Körpersprache provoziert.
Erwarte nur das, was du bedienst,
erhalte nur das, was du verdienst!“
In einer Welt, die Misogynie
fortwährend sozialisiert
und reproduziert,
in einer Gesellschaft,
die sich als Patriarchat
nicht selbst entlarvt,
dämonisiert man Frauen
zu ausgebrannten Essenzen,
stilisiert und stereotypisiert
sie als gescheiterte Existenzen.
Im gegenseitigen Misstrauen
vereint und versiert erhalten
wir dieses grausam
sexistische System aufrecht,
dass im manipulativen Zweck
als überwunden propagiert wird.
Denn genau das wolltest du nicht,
eine entwürdigende Tradition
zu nähren, die mich in ihrer
Beschaffenheit vereinnahmt,
entmachtet, erstickt und
letztendlich tötet.
Bist auch du noch
und nöcher ein Werkzeug
herrschender Verhältnisse,
sich anbiedernd in der
Hoffnung auf Zugeständnisse.
Geformt, verformt und verstoßen,
in die Isolation gestoßen
entfalte ich in meiner Einsamkeit
all dies als Einsicht
und gewinne meine eigene Wahrheit,
meinen eigenen Raum
zur Entfaltung, Erhaltung
und Erkennung zurück.
Dich zu hassen, mich zu hassen,
ist Verschwendung und Verfremdung.
Dich zu verstehen, mich zu verstehen,
läutet nun meine Heilung und Befreiung
von Hysterie und Unterwerfung ein.
Cansev Duru präsentiert lyrische und politische Texte, die auf ihren eigenen Erfahrungen als sogenannte Migrantin, Muslimin und PoC beruhen. Mit ihren Texten möchte sie gesellschaftskritisch aufklären sowie Menschen mit ähnlichem Background empowern. Weitere Infos zu ihrem Schaffen gibt’s auf ihrer Facebook-Seite unter @slammistin
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