Obwohl Tristesse als ein bloßes ausgesprochenes Wort ästhetisch schön klingt, hält sie mein Leben grässlich im Würgegriff. Seit der CoronaPandemie studiere ich online. Das war auch schon alles, was ich gerade so schaffe. Ein abgebrochener Auslandsaufenthalt, auf Eis gelegte Jobs und abgesagte Auftritte tun ihr Übriges. Aber anders kenne ich das Leben nicht: es spielt nicht mit, wie ich will. Abhilfe schaffen Beobachtungen, Momente inmitten der Tristesse eines isolierten Alltags. Sie halten meine Inspiration unter Fluss.

Normalerweise wollte ich heute meinen Account deaktivieren. Instagram ist ein Wettbewerb geworden, wer am geilsten schreibt, klingt, aussieht. Und wehe, dein Post ergötzt sich nicht an einer politischen Message! Ich weiß nicht, was ein gesunder Umgang mit Social Media heißen mag, den einige slacktivists mir zu predigen wissen. Gut schreibe ich nicht, aber ganz schön nett, weil unbeholfen. Das literarische Ich scheint meilenweit weg zu liegen, wenn ich es wieder nicht aus dem Bett schaffe. Wozu auch, es möchte einfach nicht.
Wenn doch, greife ich mir meine MakeUp Utensilien und entspanne dabei. Die Suche nach dem richtigen Winkel für das dezente Übermalen meiner Lippenkonturen beruhigt mich. Dabei halte ich den Stift fest in der Hand, ein automatisierter Prozess. Mit diesen herrlich bemalten Lippen sitze ich beim Türken meines Vertrauens. Entschuldigt bitte die abgedroschene Redewendung, „Türke“
und „Vertrauen“ könnten einige triggern.

Dönerläden, bei einem Anflug von Individualismus sage ich schonmal „Döneria“, sind reihum in Gießen zu finden. Ich kann mich nicht vor ihnen verstecken. „Dönerladen meines Vertrauens“ ist für viele KlischeeDeutsche wahrscheinlich der leckerste mit lokalen BioProdukten; dann darf es schonmal etwas teurer sein. Dessen Besitzer hier ist Kurde, mit einem riesigen CheWandbild und dem kleinen Dönermann. Er ist ebenfalls am Rücken mit einem bunten Flaggen Tattoo beschmückt. Deutscher Feminismus prahlt doch mit dem Slogan „Das Private ist Politisch“, oder? Bei Türk*innen und Kurd*innen heißt es sinngemäß „Der Döner ist politisch“. Wenn ich also davon ausgehe, ich sitze ich in irgendeiner Döneria, hauptsache Kuttelsuppe, bin ich dann emanzipiert oder unpolitisch?

Meine Freunde würden ersteres sagen, da ich öfters alleine in Restaurants essen gehe, als Frau, mit Lippenstift! Kurdische Aktivist*innen würden mich auf meine Privilegien als muslimisch sunnitische Türkin innerhalb dieser Räume aufmerksam machen. Abgesehen von sexistischen Vorfällen habe ich also die Wahl, wo ich essen kann, ohne Angst vor Faschos und Antikurdischem Rassismus haben zu müssen. Naja, dann sind wir wieder bei der Frage, ob ich gut oder nett sein will. Ehrlich gesagt langweilt mich mein eigenes Leid nur. „Du bist unglaublich selbstreflektiert, eine wundervolle Gabe!“, sagt Gamze immer. Ich sollte sie bald in München besuchen. Jetzt stehe ich endlich aus dem Bett auf. Ich weiß nicht, inwiefern all diese Faktoren eine Rolle bei der Auswahl eures Döners spielen. Vielleicht ernährt ihr euch auch vegetarisch oder vegan, dann gebe ich euch gerne mal Falafel beim Kurden aus.

Außerdem würde gerne wissen, was ihr so nach einer durchzechten Nacht isst. Auch Döner? Ich hoffe
nicht. Das wäre mir zu deutsch.

Der Döner ist deutsch, der Döner ist politisch, der Döner ist rassistisch!

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