In Vorstellungsrunden war ich stets die nette Nicole. Oder die natürliche Nicole, die neugierige Nicole. Mit dem mächtigen Manuel feilte ich an Alternativen; Die nackte, nuttige Nicole. Aber die Versionen aussprechen? Nie getraut, ich blieb lieber nett und naiv und bekam vom Lächeln Kieferverspannungen. Vor Tagen lief ich eine beliebige Straße entlang, zum Mohnkuchen des Vetrauens und mir wurde bewusst: Normal bin ich, die normale Nicole.

Ich bin weiß, blond, blauäugig. Studiere mit anderen Gutmenschen Politikwissenschaft, wähle grün. Jogge um den See, und der BMI-Rechner verspricht mir „Normalgewicht“. Das Gesicht ist ok, Beine ok, Zähne ok. Für den alternativen Touch, ein goldener Nasenring. Auch ok. Ich entspreche einem Typus, einer Facette von Normalität. Pack mich in eine Schublade und ich würde nicht mal klappern.

Es gibt Punkte, die sind unangenehm: Wie die meisten deutschen Frauen, kenne ich Sexismus; er begegnet mir im Bus, wenn jemand ganz nah, so nah heranrückt, weil es wirklich überhaupt keinen Platz gibt, for real. Er begegnet mir in mir selbst; die Stimme, die sagt, er wisse dies und jenes besser als ich. Wie die meisten weißen Frauen, kenne ich keinen Rassismus; er begegnet mir nicht im Bus, wenn jemand ganz weit, so weit wegrückt, dass wirklich genügend ausreichend Platz bleibt. Er begegnet mir in mir selbst; die Stimme, die sagt, ich wisse es besser als die oder der.

Ich bin eine Postmigrantin, light. White Privilege, right. Ich werde nicht diskriminiert, ich werde nicht mal erkannt. Auf Partys lass‘ ich Menschen meinen Migrationshintergrund erraten. Dann kneifen die Partypeople ihre Augen zusammen. Erkennen das Deutschrussin-Sein in meinen kaukasischen Gesichtszügen, oder im R. Dann trällere ich Grrrrrrrras, und Leute lachen, ziehen am Joint. Vergeben, vergessen, es spielt keine Rolle. Denn, mein Bafög-Amt finanziert mich, verlängert die Zahlung, ohne zu zögern. Meine Therapeutin therapiert mich, ohne Bias, ohne zu zögern. Ich bin in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ich bin die Mitte.

Und doch, ist da, die Angst. Die in mir steckt, in diesem assimilierten Zwischenraum, zwischen dem Du und dem Ich. Wussten meine Eltern worauf sie sich einlassen? Für welches Konstrukt sie sich bücken, mich verrenken? Wie schwer die Knochen sind, und wie leer? Und wie wir andere damit erschlagen? Dieses Über-Ich, in das ich, nein wir uns hineinein assmilierten – o süßes Lied.

 

Foto: Steve_a_Johnson CC