Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft. Das bedeutet, dass wir in einem bestimmten Machtverhältnis leben, in dem Frauen ungleich behandelt und ihre Bedürfnisse oft ignoriert werden. Dazu gehören auch verinnerlichte Formen von sexualisierter Gewalt, zum Beispiel, dass es schon okay sei, solche Videos aufzunehmen, zu verbreiten und anzuschauen, wenn andere das auch tun. FLINT* (Frauen*, Lesben, Inter- und Transpersonen) machen diese Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, Blicken und Bewertungen des eigenen Körpers in der Öffentlichkeit tagtäglich und auf der ganzen Welt. Die Vorfälle sind so gesehen nur ein weiterer Stich in eine alte Wunde.
– Betroffene der Videoaufnahmen auf dem Festival „Monis Rache“, Mit-Organisatorin der Demonstration*
Am 14.02. haben sich rund 2000 FLINT*-Personen (Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-binäre, Trans) am Hermannplatz versammelt, um gegen die patriarchalen Zustände, denen wir unterworfen sind, zu demonstrieren. Anlass waren die Ereignisse auf dem Festival „Monis Rache“: Damals hatte ein Mann namens Henning Franke Videokameras in Dixie-Klos installiert, um im Nachhinein die Aufnahmen der unwissenden Frauen auf der Pornoseite „Xhamster“ zu veröffentlichen. Mittlerweile wurden die Videos wieder gelöscht, dennoch gibt es unendlich viele weitere solcher Fälle, wo gegen den Willen von Frauen heimlich Videoaufnahmen, in ursprünglich sicheren Räumen, gemacht wurden: Duschen (Fusion Festival), Saunen, Umkleidekabinen etc. Ein Search auf einer beliebigen Porno-Website reicht, um zu erkennen, dass hunderte solcher Videos existieren und diese Art von Übergriffigkeit längst Realität ist. Es handelt sich ganz klar um sexualisierte Gewalt: Ohne, dass die Frauen von den Aufnahmen wissen oder ihr Einverständnis (!) dazu gegeben hätten, werden sie bei ihren intimsten Tätigkeiten gefilmt, damit Männer aus aller Welt anschließend Gebrauch davon machen können. Die Frau wird hier ganz klar in eine Lage der Ohnmacht gedrängt.
Als gegen 18 Uhr die ersten Redebeiträge gehalten wurden, wurden Banner hochgehalten. Auf einem hieß es:
„COPS MOLEST YOU, JUDGES TORMENT YOU, THE SYSTEM IS PATRIARCHAL! TAKE COLLECTIVE RESPONSIBILTY!“
Es wird angeprangert: Das System ist patriarchal! Auch Polizisten nutzen ihre überlegene Position aus, um sich an Frauen im offiziellen Rahmen einer „Durchsuchung“ zu ergötzen. Wenden sich belästigte Frauen (ob nun durch Polizisten o.ä. Schweine) an das Gericht, um Gerechtigkeit für sich zu schaffen, entstehen durch den Prozess so viele Hürden, dass die Strafanzeigen oft fallen gelassen werden. Der Staat legt der Frau Steine in den Weg, so dass es bis heute schwierig bleibt, sich an diesen ernsthaft wenden zu können. Dabei entstehen Fragen: Wo finden sich heute noch sichere Orte für FLINT*-Personen? Wer schafft Gerechtigkeit für uns, wenn uns schlimmes wiederfährt?
Die Frage beantwortet sich mit der Existenz unserer Selbst. Wir sind diejenigen, die sichere Orte für uns selbst herstellen. Wir müssen Gerechtigkeit für uns schaffen, wenn uns Schlimmes wiederfährt. Und deshalb marschierten wir gemeinsam vom Hermannplatz aus über Kreuzkölln zur Simon-Dach-Straße nach Friedrichshain. Bevor wir losgingen, verteilte noch eine Mitorganisierende der Demo Zettel mit einem Text, den wir bei der Zwischenkundgebung singen würden. Der Text war inspiriert von dem chilenischen, feministischen Protest-Song „Un violador en tu camino“ – „Ein Vergewaltiger in deinem Weg.“
Jin, Jiyan, Azadi!
Dieser Abend war definitiv ein eindrucksvoller Abend. Es war mit allen Sinnen eine starke und solidarische Atmosphäre zu spüren. Ich sah die vielen bunten und leuchtenden Schilder, die alle Aufmerksamkeit auf ihre feministischen Aussagen lenkten. Beinahe durchgehend riefen die Teilnehmer*innen kraftvolle und emanzipatorische Parolen: „Whatever I wear, wherever I go, yes means yes and no means no!“ „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“, „Jin, Jiyan, Azadi“ (Kurdisch für: Frauen, Leben, Freiheit“). Die Tatsache, dass es nachts war, also dann wenn sich viele FLINT*-Personen auf der Straße oft nicht sicher fühlen können, verlieh der Demo einen besonderen Unterton von Stärke. Wir bewegten uns hier nachts durch die Stadt, aber diesmal sicher. Umgeben von hunderten weiteren Personen, die sich in ähnlichen Lagen befinden wie man selbst, geschützt durch die große Zahl in der wir uns vereinten. Das Bild einer erhobenen Faust wurde während des Marschs auf die sonst blanken Gebäudewände projiziert. Alle Teilnehmer*innen waren gut gelaunt, trotz des ernsten Anlasses, alle solidarisch und freundlich miteinander.
„Ihr Drecks-Feministinnen!“
Natürlich war aber nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen: Entlang der Warschauer Straße, wo mehrere Passant*innen anwesend waren und verwirrt den Demonstrierenden hinterherschauten, waren mitunter auch ein paar Männlein, die dies als Gelegenheit sahen sich selbst zu beweisen. Genau genommen war es eigentlich ein einziges Männlein. „Ihr Drecks-Feministinnen“, rief er uns lachend hinterher. Niemand reagierte so wirklich, es hatte vermutlich auch jede* mit solch einer Situation gerechnet. Was er davon hatte war nichts, außer dass er sofort von Polizist*innen gepackt wurde und sich rechtfertigen musste: „Ich hab‘ keine Straftat begangen!“ Nein, du vielleicht nicht, dafür aber genügend deiner männlichen Freunde und Kollegen, die du mit deiner vermeintlich witzigen Aktion gerade verteidigst. Was sich dabei bei mir einprägte, war nicht der Mann selbst, sondern seine Freundin, die während dieser Gesamtsituation neben ihm stand und mit leerem Gesichtsausdruck darauf wartete, dass die Situation vorbei sei. Ich frage mich, wie es sein muss, gegenüber hunderten von Frauen zu stehen, die gerade auch für deine eigenen Rechte demonstrieren, während man selbst seinem Freund zur Seite steht, der diese verächtlich macht. Das erinnert mich daran, wie viele Frauen nicht nur mit Männern, sondern auch mit sich selbst und ihren internalisierten misogynen Strukturen zu kämpfen haben (dessen Verursacher wiederum das Patriarchat ist).
Vorbei und vergessen war diese Szene, und weiter ging die Demonstration. Bei der Zwischenkundgebung wurden unaufhörlich weitere Parolen aufgesagt, bis eine Rednerin diese eher unfreiwillig unterbrechen musste. Darauf folgte der gemeinsame Text, den wir zuvor ausgeteilt bekommen hatten. Ich muss ehrlich sein, der Beat auf den dieser zu singen war, war schlecht, weswegen mir die Gesamtsituation etwas peinlich war. Der Inhalt des Liedes jedoch behält seine allgegenwärtige Bedeutung und Aussagekraft.
Feminismus, Anti-Kapitalismus und Anti-Rassismus, was haben die drei gemeinsam?
Im Verlauf des Abends wurde hier und da auch antikapitalistische Kritik geäußert, ein Themenfeld, was auf Demos häufig zu kurz kommt. Es ist aber genau das, was im Zuge des feministischen Kampfes nicht außer Acht gelassen werden darf: Die Repression der Frau steht in unvermeidlicher Verbindung zum kapitalistischen System. Nur durch die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau kann sich der wirtschaftliche Gewinn mit all seinen sexistischen Mitteln (Care-Arbeit, Industrie der plastischen Chirurgie, Porno-Industrie, etc.) fortsetzen und kontinuierlich wachsen. Nur so kann – im globalen Maßstab – die reiche männliche Elite oben und die arbeitende, weibliche Schicht unten gehalten werden.
Was mir insgesamt dennoch während der Demo fehlte, waren mehr migrantische Gesichter. Ich wünsche mir von der zukünftigen Entwicklung der deutschen feministischen Bewegung, dass sie intersektionaler wird, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund mobilisiert und Teil der Bewegung werden. So wird insgesamt ein Raum geschaffen, wo viel mehr unterschiedliche Erfahrungen geteilt und veröffentlicht werden, denn nur so findet tatsächliche Emanzipation auf allen Ebenen statt.
„‘Sup girls, where you going?“
Am Ende der Demo angekommen, lud eine Mit-Organisatorin alle Teilnehmenden ein, sich in eine, ebenfalls nur für FLINT*-Personen geöffnete, Bar zu setzen und dabei auf den gemeinsamen Abend anzustoßen. Ein weiteres Zeugnis für den Zusammenhalt und der Stärke, die uns hier einte. An der Revaler Straße war die anti-patriarchale Demonstration an ihr Ende gekommen.
Spürbar. Meine Freundin und ich wollten gerade losgehen, da kam ein Mann, der das Spektakel vom Straßenrand beobachtete, auf uns zu und fragte mit benebeltem Blick: „‘Sup girls, where you going?“ Die Ironie der Lage war so deutlich, dass ich das Lachen unterdrücken musste und mich ohne ein weiteres Wort auf den Weg machte. Bei einem Blick zurück, sah ich, dass der Mann sich in die Mitte der Demonstrant*innen-Menge gestellt hat und verloren in die Luft starrte. Manchmal schreiben sich die Witze von selbst.
Rache am Patriarchat!
Aber bei genau solchen vorerst ‚harmlosen‘ Situationen fängt es an: die Gewissheit von Männern in der überlegenen und mächtigeren Position zu sein, der Glaube, ihr eigener Genuss sei das Ziel und Frauen seien nur Mittel zum Zweck. Dieser Gedanke äußert sich in all seinen mehr oder minder gewalttätigen Ereignissen. Er ist das, was die kollektive patriarchale Kultur ausmacht.
Und genau aus diesem Grund sind es Zusammenkünfte wie die „My body is not your porn!“-Demo, die wir brauchen um nötigen Gegenwind zu schaffen. Wo sich Flint*-Personen in einem sicheren Umfeld zusammenfinden, in ihrer überragenden Größe bei der restlichen Gesellschaft Eindruck hinterlassen und dabei zeigen: Wir haben eine Stimme und wir lassen uns nicht unterdrücken! Denn Veränderungen entstehen nur, wenn Unterdrückte sich gegen die ausbeuterischen und repressiven Verhältnisse auflehnen und ordentlich aufrütteln. Nur so können wir nachhaltig etwas bewirken, nur so können wir eine bessere Umwelt für uns selbst und unsere Geschwister schaffen!
Whose streets? Our streets!
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