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Normalerweise sprechen wir von der Ruhe vor dem Sturm, ein entspanntes oder vielleicht sogar in leiser Vermutung angespanntes Erleben, bevor etwas einbricht, ein Gewitter, ein Sturm, der unseren Alltag oder uns selbst aus der Bahn wirft, den Boden unter unseren Füßen reißt – heute erzähle ich euch aber von der Ruhe nach dem Sturm.

Wenn wir ehrlich sind, sah ich den Sturm kommen. Die dichten, grauen Wolken schlichen sich nach und nach ran und bildeten über mir eine große Wolkendecke. So groß, dass kein Licht mehr zu sehen war. Und obwohl alle Zellen meines Körpers mir sagten, ich sollte los bevor es so richtig stürmt, blieb ich wie verwurzelt stehen.

Es regnete leicht und ich sagte mir, ich bin ja nicht aus Zucker, das halte ich aus. Ein Blitz schlug ein, weiter weg von mir und ich dachte, Glück gehabt. Dann wurde es immer lauter, es donnerte und blitzte noch mehr. Es wurde stürmisch, so stürmisch, dass ich mich kaum halten konnte, dadurch endlich wachgerüttelt wurde und mich fragen musste – was mache ich hier draußen, mitten im Sturm?

Mein Sturm ist eine Wolkendecke gefüllt mit Reizen, Situationen und Erlebnissen, die auf mich rieselten, sich anstauten, unverarbeitet blieben und mich irgendwann in der Gesamtheit erschlugen und mir nichts anderes blieb, als resigniert runterzufahren. Jede Zelle meines Körpers schaltete sich nach und nach ab. Jede kleine Bewegung, jeder kleine Gedanke war zu anstrengend. All die Energien, Emotionen unverarbeitet und festgesteckt in meinem Körper nahmen mich ein, legten mich lahm.

Ich war überreizt von den vielen Lebensereignissen und -veränderungen, sowohl wunderschöne als auch herausfordernde, die mich die letzten 12 Monate prägten. Meine Erlebnisse und damit verbundenen Gefühle möchte ich sacken lassen, verarbeiten und einordnen können.

Ich bewerte nicht gerne in positiv oder negativ, vor allem nicht bei Gefühlen. Vielleicht denken wir erstmal an Konfliktsituationen, wenn es um Verarbeitung von Emotionen geht. Dabei vergessen wir alle anderen Momente:, freudvolle, stolze, überraschende (usw.) die verarbeitet werden dürfen oder möchten. Situationen, die uns berühren – auf welche Art auch immer – brauchen Zeit und Raum. Doch statt mir die Zeit zu nehmen, war ich damit beschäftigt von A nach B zu hetzen, ein zweites, drittes Projekt anzugehen, hier und da neue Verbindungen aufzubauen – und ja, alles wundertolle Dinge, für die ich mich ganz bewusst entschied. Aber was bringt mir all die (angenehme) Aufregung, wenn mir die Energie fehlt ganz präsent zu sein?

Ich war schockiert darüber, wie es an mir vorbeiging, dass mein Körper nicht mehr kann. Ich war schockiert über diese unglaubliche Erschöpfung, die mich tatsächlich lahmlegte, und das (rückblickend) nicht nur über eine Woche, sondern Monate. Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber diese Erschöpfung zieht sich schon sehr lange, zu lange. Der Sturm ist eingebrochen und ich war mir (endlich) bewusst, so kann es nicht weitergehen.

 

Also kam die Ruhe nach meinem Sturm.

Wie sah die Ruhe aus?

Nach der notwendigen Erkenntnis die Bremse ziehen zu müssen, nahm ich mir die Zeit, die ich brauchte, um wieder Energie zu tanken. Ich sagte Pläne ab, schaltete mein Handy eine Zeit aus, war nicht auf Instagram und most importantly: ich habe geschlafen, viel! Nach guten acht, neun Stunden Schlaf legte ich je nachdem, was mein Körper brauchte, noch ein, zwei Naps ein.

Ich verbrachte ganz bewusst mehrere Tage am Stück möglichst reizarm. Meditierte intensiver und länger als ich es sonst tue, ließ meinen Blick in die Ferne schweifen und war ganz im Hier und Jetzt. Genoss die Ruhe, die Stille und hörte ganz laut, was mein Körper mir sagte und auch schon länger versuchte mir zu sagen: „Lass doch erstmal sacken, was alles passiert ist.“

So vieles endete und mindestens genauso viel Neues konnte beginnen, und das innerhalb kürzester Zeit. Ich verabschiedete mich von einer langjährigen Partner*inschaft, von vier Wänden, die lange (im Herzen) mein Zuhause waren, (örtlich) von Freund*innen, von Ideen und Werten, die nicht mehr zu mir passten, von alten Versionen von mir, von einem Studium, das mich lange begleitete.

Die Abschiede wiederum schafften Platz für neue wundervolle Dinge: neue Menschen, Verbindungen, Gruppen, Projekte, Pläne und Träume, neue Erlebnisse und neue Orte, das Wiederentdecken von alten Leidenschaften. Außerdem begann ich eine intensive Reise mit mir selbst, zu mir selbst, im Fokus meine Werte und Bedürfnisse, die mir Orientierung geben in meinen Entscheidungen im Kleinen und im Großen.

All das ist passiert. In diesem Moment, in dem ich das reflektiere und darüber schreibe, bin ich kurz wieder überwältigt von der Masse an Reizen. Die letzten 12 Monate waren ein kompletter Umbruch für mich. Umso wichtiger waren diese vier, fünf Tage (wenn wir ehrlich sind, braucht es eigentlich 1-2 Wochen mehr) isoliert und ganz reizarm nur für mich. Diese Stille, um auch zu verarbeiten, ist so so wertvoll und war sehr notwendig für mich, um wieder zu Kräften zu kommen, um wieder ganz bei mir zu sein und zu hören, was mein Körper mir sagt.

Seit dieser Ruhe kann ich wieder klarer denken, ich bin wieder aufnahmefähig, inspiriert, energetischer und habe große Lust, meine Projekte anzugehen und den wundervollen Menschen zu begegnen, die in meinem Leben sind. Und ich merke, in der Stille, in der Zeit, die ich mir erlaubte zu nehmen, ist mein Blick auf meinen Alltag, und wem und was ich darin begegne, präsenter, aufmerksamer, liebevoll und weniger hektisch.

Die Ruhe nach dem Sturm war wichtig, aber diese Ruhe nach dem Sturm ist auch zu spät.

Du bist es wert und du hast es verdient dich auszuruhen, nicht weil du irgendetwas getan oder geleistet hast, sondern weil du (hier) bist. Du brauchst keinen Grund und hast jeden Grund, einfach abzuschalten und zu tun, was dir, deinem Körper, deiner Seele gut tut. Erlaube dir all die Zeit, die du brauchst, um zu Kräften zu kommen und wieder all die Herausforderungen, Aufregungen und magischen Momente im Leben aufnehmen und verarbeiten zu können.

Also, wenn sich die Wolken langsam ranschleichen und über dir eine dicke Wolkendecke bilden, sei gut zu dir und nehme dir aktiv die Ruhe bevor der Sturm einbricht.