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Mehr als fünf antimuslimische Vorfälle pro Tag. Das besagt die Bilanz der CLAIM-Allianz, einem Bündnis gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit, aus dem Jahr 2023. Dass diese Zahl in diesem Jahr drastisch weiter angestiegen ist, können wir uns denken. Doch es bleibt nicht bei diesen fast zweitausend Menschen. Hinter jeder einzelnen Person, die Opfer einer rassistischen Attacke wird, stecken gleichzeitig noch hunderte andere. Unsere Eltern, Tanten, Cousins und Geschwister. Wird eine*r von uns verletzt, leiden wir alle. Wir tragen den Schmerz, die Angst und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit ständig auf unseren Schultern. Zusätzlich zu unseren normalen Problemen des Alltags, haben wir keine andere Wahl, als auch dieser Last noch einen Platz in unserem Leben einzuräumen. In Deutschland dürfen wir keine Entscheidung darüber treffen, ob wir aktuell Kraft und Raum dafür haben. Als Migras wird von uns erwartet, dem Druck des rassistischen Alltags standzuhalten und den Hass einfach wegzulächeln. Das alles nicht zu ernst zu nehmen. Doch wieviel Energie das kostet, das wird nicht anerkannt. Die meisten von uns müssen diesen Mehraufwand bereits seit ihrer Kindheit aufbringen. Wir sind so daran gewöhnt, dass unser Tank nur halb voll ist, dass uns gar nicht mehr auffällt, wie viel Anstrengung wir Tag für Tag aufbringen müssen. Doch irgendwann schwindet die Kraft und die Hoffnungslosigkeit nimmt zu. Mit jeder weiteren Nachricht über einen erneuten Angriff auf People of Color oder eine weitere Nazi-Demo, die von der Polizei komischerweise nicht gestoppt wird, fühlen wir uns hilfloser und unsicherer in dem Land, das wir eigentlich unser Zuhause nennen sollten.

Meine Angst in Deutschland wird immer größer. Anfangs war sie noch begleitet von Wut. Einer Wut darüber, dass ich diese Last tragen muss, während meine weißen friends unbeschwert durchs Leben gehen dürfen. Einer Wut über die Ungerechtigkeit dieser Verantwortung, die mir auferlegt wird, nur weil ich so aussehe, wie ich es eben tue. Einer Wut darüber, dass kein einziger Tag vergeht, an dem ich mir nicht in irgendeiner Art und Weise Gedanken über den Rassismus in Deutschland machen muss und wie ich damit umgehen will. Aber Wut kostet mich nur noch mehr Kraft. Deswegen ist sie nun gewichen und wird von der Hilflosigkeit ersetzt. Wie wird mein Leben in Deutschland in Zukunft aussehen? Können meine Eltern ihren Alltag hier noch frei und sicher navigieren? Wie wird das alles enden und was wird aus uns?

All diese Fragen schwirren zu jeder Zeit in meinem Kopf herum. Und ich weiß, damit bin ich nicht allein – denn wir stehen gemeinsam als Migras, als „die Anderen“. Wir stärken uns gegenseitig, holen uns ein Stück von der Kraft zurück, die uns genommen wurde und können so hoffentlich etwas an den Verhältnissen ändern.

 

credits Beitragsbild: privat