Gestern war ich im Gym. Seit etwa einem Jahr gehe ich manchmal sehr regelmäßig, manchmal sehr unregelmäßig ins Fitti. Ich will Klimmzüge können, mindestens fünf, für den Fall, dass die Zombie-Apokalypse doch noch stattfindet. Wie mir Klimmzüge da helfen? Naja, stell dir folgendes Szenario vor:
In einer knappen Verfolgungsjagd lande ich unerwartet und filmreif in einer Sackgasse. Eine Mauer versperrt den Weg zur Flucht und knapp hinter mir ist eine Schar von Zombies. Und wie alle wissen, können Zombies nicht klettern. (Das könnte auch ein Gerücht sein, ich habe noch nie echte Zombies gesehen, aber meine gesamte Gym-Motivation hängt an diesem Halb-Fakt, also halten wir vorerst daran fest). Weil ich zu diesem Zeitpunkt relativ einfach mein eigenes Körpergewicht mehrmals von gestreckten Armen aus in die Höhe stemmen kann, springe ich die Mauer hoch, halte mich mit meinen Händen knapp am oberen Ende der Mauer fest – und siehe da, die Klimmzüge retten mein Leben! Die Schar an Zombies (natürlich haben sie sich mittlerweile filmreif vervielfacht) rennt NPC-mäßig weiter stumpf gegen die Mauer.
Das Fitnessstudio ist für mich ein luftleerer Raum. Ein Vakuum, eine Insel der Zivilisation, in der andere Regeln gelten. Fitnessstudios sind laut, übermäßig muskelbepackt, hier wird gestöhnt und geschrien. Bevor jetzt Fitnessstudio-Unerfahrene denken, „stöhnen“ weise auf das Zeigen von Schwäche hin – nein, hier geht es um das Zeigen von Kraft, Stärke und unbesiegbarer Männlichkeit. Wer nicht an der eigenen super-männlichen Männlichkeit arbeitet, ist meist in Leggins und bauchfreien Tops vorzufinden. Lange Haare, große Brüste, runder Po. Im Cardio-Bereich, selten im Kraftbereich. Ein paar Ausnahmen zu diesen Gender-Performances gibt es, ich versuche eine davon zu sein, fühle mich damit aber immer noch alleine. Erst seit ein paar Wochen traue ich mich ohne Friends ins Gym. Mein Körper ist dort eindeutig fremd, maximal zu Gast, nie zu Hause. Das gilt sowohl für den „allgemeinen“-Bereich als auch für den „Ladies“-Bereich. Trotzdem bin ich da und lerne mich zwischen diesen anderen Körpern und ihren Verhaltensweisen zu navigieren.
Überall sind Spiegel, für alle, die ihre Muskeln, ihre Körperformen, ihre Wirkung nach außen begutachten wollen, sich darin tränken, bestärken und gepusht fühlen. Während meiner Tanzausbildung vor fünf Jahren stand ich auch andauernd vor Spiegeln, aber mein Selbstbewusstsein, obwohl ich einen relativ normschönen Körper habe, hat sich dadurch nie verbessert – eher im Gegenteil. Höher, stärker, weiter, immer mehr, verbessern, optimieren, durchhalten.
Ich denke über Körper nach, als Statussymbol. Und während meine Uni-Friends ein weiter oben liegendes Körperteil als Statussymbol nutzen, sich in elaborierten, apodiktischen, gravitätischen Wortreihen wälzen, akribische, kultivierte und hochoffizielle Fachtermini droppen, als würden sie Enten im Park füttern, denke ich darüber nach, wer vielleicht nicht das Privileg hat nur sein Gehirn zu trainieren und Credits dafür bekommt, in solchem Ton zu Monologisieren. Wer dafür geboren wird, studieren zu dürfen.
Die Uni. Auch in diesen Räumen bin ich fremd. Obwohl ich mich schon relativ lange darin aufhalte. Vielleicht in anderen Kontexten, anderes Land, anderes Fach. Das Grundprinzip bleibt das Selbe: diese Räume, in ihrer Entstehung, sollten nie zugänglich sein. Das Erbe dieser elitären Wände spüre ich heute noch deutlich. Vor ein paar Jahren hörte ich einen Podcast über die Uni. Eine Person aus Arbeiter*innen-Verhältnissen, später promovierend, berichtete über die eigene Erfahrung im Studium. Während diese Person in der Studienzeit auf sich alleine gestellt war, lasen und korrigierten Elternteile der Mit-Studierenden/-Promovierenden die Arbeiten der Kinder. Ich erinnere mich genau an diesen Teil, nicht wegen etwaiger Empörung über die ungleichen Verhältnisse, in denen die einen Unterstützung bekamen, während die anderen alles selbst stemmen mussten. Ich erinnere mich genau an diesen Teil, weil ich nie vorher auf den Gedanken gekommen wäre, irgendwelche Schul- oder Uni-Arbeiten von meinen Eltern lesen, geschweige denn korrigieren zu lassen. Dass andere Menschen diese Art von Unterstützung von ihren Eltern bekommen, war mir völlig neu.
Meine Eltern können maximal Small-Talk auf Englisch führen und kämen rein sprachlich deshalb nie in Frage, Texte meines Bachelor-Studiums zu lesen. Die Sprache meines jetzigen Studiengangs wäre zwar einfacher für sie, die Füllwörter, Fachwörter, der akademische Sprech, ähnlich unverständlich. Die Konzepte zwar relevant, aber auch runtergebrochen und ohne Vorwissen schwer verdaulich.
In fast jedem meiner Seminare gibt es eine Person, die sich immer meldet, dabei mindestens drei Minuten am Stück spricht (von denen ich nur die ersten 40 Sekunden aktiv zuhören kann). Deren Sätze sind voll mit Wörtern, die die eigene Intelligenz, das Know-How präsentieren. Die Person ist so tief im Thema, dass statt einer Gruppendiskussion, das Gespräch nur noch an die Seminarleitung gerichtet ist, die ebenso tief im Thema und mit den genutzten Ausdrücken vertraut sein muss. Ich bin es nicht, stattdessen bin ich wütend. Ich bin wütend über diese Menschen, die sich so gerne selbst reden hören, „schlau“ genug sind, sich kompliziert ausdrücken zu können, aber Zugänglichkeit dabei nicht als relevant betrachten. Dass Menschen, wie die, von denen ich herkomme oder vor anderen Schwierigkeiten stehen, auch unter den vorhandenen oder künftigen Zuhörer*innen sein könnten, ist nicht Teil der Perspektive der Sprechenden. Es wird nur über diese Menschen geredet, selten mit ihnen. Stattdessen versinnbildlicht dieser Monolog für mich den muskelbepackten Zwei-Meter-Schrank, der im Gym vor dem Spiegel steht und den eigenen Bizeps streichelt.
Ich mache weiter meine Squats, Bankdrücken, Klimmzugübungen. Ich habe beschlossen, dass ein Teil des Fitnessstudios auch gender-queeren Körpern gehört, auch wenn es hier nur wenige davon gibt. Ich zähle die Wiederholungen und schwitze, es ist harte Arbeit – auf mehreren Ebenen. Zwischendrin werfe ich auch einen Blick in den Spiegel.
*Manche Wörter in diesem Text wurden durch online-Suchmaschinen entdeckt. Wörter, die nicht in den Text, aber in der engeren Auswahl gelandet sind, sind: akribisch akkurat, erlaucht, existenziell
**Zombies are not real. The AfD is.
© privat Lara Taschler