* Von Kurdo Ararat *
Als kurdische Bürgerin war ich lange der Überzeugung, dass nur Kurd*innen ernsthaft von Assimilation bedroht sind. Doch meine Erfahrungen in Europa haben mir gezeigt, dass auch andere Minderheiten, insbesondere Menschen aus afrikanischen Ländern, diesem Risiko ausgesetzt sind – und dies oft sogar in doppelter Hinsicht.
Die doppelte Bedrohung der Assimilation
Seit 2016 lebe ich in Deutschland und habe durch meine Französischkenntnisse mit Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern kommunizieren können. Diese Gespräche haben mir verdeutlicht, dass viele Afrikaner*innen bereits in ihren Herkunftsländern durch die Dominanz der Kolonialsprachen von Assimilation betroffen sind. In Europa wird dieses Problem jedoch oft noch verstärkt, vor allem für ihre Kinder.
Osman, ein Mann aus Senegal, ist ein Beispiel für diese Problematik. Seine Muttersprache ist Wolof, doch im Senegal hatte er keine Möglichkeit, in seiner Muttersprache zu lernen. Die offizielle Sprache im Land ist Französisch – eine Sprache, die durch die Kolonialgeschichte aufgezwungen wurde. Osman konnte Wolof nur zu Hause sprechen, während die gesamte schulische Bildung ausschließlich auf Französisch stattfand.
Als ich ihn 2017 bat, einen Text für ein Straßenfest in Sachsen-Anhalt auf Wolof zu übersetzen, musste er ablehnen. Er erklärte mir, dass er seine eigene Sprache weder lesen noch schreiben könne, da er in der Schule nie die Chance hatte, diese Fähigkeiten zu erlernen.
Wir haben eine ähnliche Situation in Kurdistan. Die Kinder in Kurdistan lernen nur die Sprache der Machthaber Türkei, Iran, Syrien und Irak.
Sprache als Teil der Identität
Diese Begegnung brachte mich dazu, der Frage nachzugehen, ob Kinder aus afrikanischen Familien in Deutschland die Möglichkeit haben, in der Schule Unterricht in ihrer Muttersprache zu erhalten. Meine Gespräche mit Familien aus afrikanischen Ländern in Sachsen-Anhalt zeigten jedoch ein ernüchterndes Bild: Nur wenige Kinder erhalten die Chance, in ihrer Muttersprache lesen und schreiben zu lernen.
Ein Grund dafür ist, dass in vielen Bundesländern eine Mindestanzahl von Schüler*innen erforderlich ist, um einen solchen Kurs zu organisieren. Fehlt diese Anzahl, wird kein Unterricht angeboten. Hinzu kommt der Mangel an qualifizierten Lehrkräften für afrikanische Sprachen.
Assimilation durch fehlende Bildungsangebote
Das Fehlen von Sprachunterricht führt dazu, dass viele Kinder afrikanischer Herkunft ihre Muttersprache nicht lernen können. Oftmals sind ihre Eltern selbst nicht in der Lage, ihnen das Lesen und Schreiben in der eigenen Sprache beizubringen, da sie in ihren Heimatländern nur in Kolonialsprachen unterrichtet wurden. Gleichzeitig bietet das deutsche Bildungssystem keine ausreichenden Möglichkeiten, diese Lücke zu schließen.
Das Ergebnis ist eine fortschreitende Assimilation: Kinder verlieren den Zugang zu ihrer kulturellen und sprachlichen Identität, während ihre Eltern keine Mittel haben, um dies zu verhindern.
Die Vielfalt der Sprachen bewahren
Ich bin überzeugt, dass keine Sprache verloren gehen sollte. Jede Sprache ist ein Schatz, der unsere Welt reicher und vielfältiger macht. Durch die Sprachen wird das Wissen an neue Generationen weitergegeben.
Es liegt in der Verantwortung der Gesellschaft, sicherzustellen, dass alle Kinder Zugang zu ihrer Muttersprache haben, unabhängig von ihrer Herkunft. Dies ist nicht nur ein Zeichen des Respekts vor der kulturellen Identität von Minderheiten, sondern auch ein Beitrag zur Bewahrung der globalen sprachlichen Vielfalt.
Deutschland könnte mit gezielten Bildungsangeboten und einer besseren Förderung von muttersprachlichem Unterricht ein wichtiges Zeichen setzen. Damit würde nicht nur Assimilation verhindert, sondern auch ein Beitrag zu einer offeneren, integrativen Gesellschaft geleistet.
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