„Was ist dein Plan?” ist eine Frage, die in die Ecke drängen kann. Die vielleicht ein Unbehagen in uns auslöst, weil die Antwort nicht die sein wird, die das Gegenüber hören möchte oder weil wir vielleicht keine im Moment darauf haben. Es wird jedoch erwartet, so schnell wie eine Suchmaschine ein Drehbuch auszuwerfen, das auch im Jahr 2024 idealerweise Elemente wie einen Vorgartenzaun, eine Ehe und Kinder enthält. Ein Skript der Mehrheitsgesellschaft, das immer noch neoliberale Erfolgsgeschichten verspricht und exzellente Aufsteiger*innen auf Karriereleitern zeigen will. Dabei sind wir nicht vollständig isoliert von den Kapiteln, die geschrieben wurden, bevor wir selbst den Stift ansetzen konnten.
Unsere Eltern(teile) haben ihnen bekannte Orte hinter sich gelassen, um hier mit ihren Händen in trostlosen Notunterkünften für den Schulabschluss zu büffeln, unter weiteren prekären Bedingungen in nasskalten Kellern Schrauben festzudrehen und bis heute im Taxi andere Menschen an Orte zu befördern, in die sie keinen Einlass erhalten. Das alles passiert(e) mit der Vision auf ein besseres Leben, auch für ihre Kinder. Sie wollen, dass es uns gut geht, dass es uns einmal besser geht als ihnen und haben vielleicht eine bestimmte Idee davon, was gut für uns wäre. Ihre Wünsche für sich selbst werden zu unseren, während unsere Wünsche im Regen darauf warten, gesehen und abgeholt zu werden.
Wünsche von Wünschenden kollidieren, trotz überschneidender Bedürfnisse, gerne, wenn die Wünsche fremdbestimmt sind. Der Großmut keine eigenen Wünsche für sich selbst, sondern für andere zu haben, ist dabei ehrenvoll und anstrengend zugleich. Es entsteht ein Wust an Erwartungen von außen und an sich selbst. Verpflichtungsgefühle entstehen aus der Asche verbrannter Träume gegenüber Eltern und anderen prägenden Menschen, dessen Erbe durch die Anpassung ihrer Nachkommen Anerkennung finden soll. „Gut gehen” ist unter diesen Umständen eine dehnbare Aussage. Geht es mir nicht schon gut genug damit, überhaupt die Chance auf Sicherheit und Sorglosigkeit zu haben? Oder hat nicht jeder Ort seine eigenen Rahmenbedingungen für ein „gut gehen”, sich gut gehen lassen und ein gutes Leben führen? Darf ich glücklich sein, während andere Menschen leiden? Ist meine Angst vor Unsicherheit und Verlust von Kontrolle legitim, während ich in meiner geheizten Wohnung mit Pommbären, „Netflix and Chill“ lebe?
Anxiety and grief beschreibt einen dominanten Gefühlsunterton in unserer Bubble, spürbar in jeder Pore und auch in Form von Repressionen verkörpert. Mit den Visionen unserer Eltern im Rucksack stehen uns die Polykrisen gegenüber. Wie können Lebenspläne für die nächsten Jahre aussehen, wenn der Ist-Zustand weiter auf racial capitalism fußt, noch viel heftigere Ressourcenengpässe bevorstehen und Grenzregime Menschenrechte aushebeln? In der Diaspora erleben wir die Kontinuitäten des Kolonialismus einerseits und sind zugleich ungewollt auf eine Weise Teil des Westens und seiner Machtasymmetrie andererseits. Wie verorten wir uns in der kollektiven Organisierung gegen diese Strukturen, im Kampf für gerechte Rahmenbedingungen für ein gutes Leben aller und dem Bedürfnis nach Räumen für „Genuss und Heilung”?
![Kompliziertes Träumen](https://youngmigrants.blog/files/2024/12/kompliziertesTraeumen-300x249.jpg)
Es fällt teils schwer, Hoffnung zu verspüren, dass unsere „kleinen” Beiträge die Transformation eines „guten Lebens” für alle erreichen können und doch…
wie wir uns das Morgen wünschen, das gute Leben vorstellen,
so wollen wir schon jetzt leben.
In einer Welt, in der sich Menschen annähern,
mit Akzeptanz und Neugier,
in der wir uns sicher fühlen,
von unseren Träumen zu erzählen,
wo wir Wir selbst sind,
und Scham
loslassen können.
Wo wir ausprobieren, verwerfen, neu anfangen können,
wo gefeiert wird, wen, wie viele und wie wir lieben.
Wo der Drang nach Veränderung und Stillstand
nicht im Widerspruch steht
mit der Verantwortung, die wir einander gegenüber haben,
sondern Hand in Hand geht.
Wo Lebensfreude Platz hat und die eigenen Wünsche
nicht auf den Schultern anderer stehen.
Wo wir selbstbestimmt sind, und
wo commitment zu Fürsorge, und der Befreiung aller
nicht nur kultige Konzepte sind, sondern ein Fundament bilden,
und wir uns kollektiv gegen die Unterdrückungsmaschinerie aufbäumen.
Eine Welt, wo wir einander Windschutz bieten,
sicher sind, und voneinander lernen.
Wir packen an, verbünden uns,
und vielleicht ist das dann nicht eine Welt,
sondern viele,
wo das Ja zum Leben, ein Ja für alle ist.
Und unsere Wünsche füreinander, nicht abgekoppelt von den Wünschen für uns selbst sind.
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