Noch im Juli stand ich hinter dem Bühnenvorhang im Ballhaus Naunynstraße, und lauschte den raschen Schritten der Theaterbesuchenden. Kalter Schweiß lief meinen Rücken hinab und ich war aufgeregt. Lampenfieber! Denn endlich war es soweit. Die Premiere von „Kraftwandler*innen“. Unser Stück, das im Programm „Akademie der Autodidaktinnen“ im Ballhaus Naunynstraße unter der Leitung von Raphael Musa Hildebrandt und mit liebevoller Unterstützung eines großartigen Teams, zusammengestellt wurde. Wir waren sechs Menschen, die sich als Ausprobierende und als Amateur*innen, in diesem Programm kennen und lieben gelernt haben. Unsere Gemeinsamkeit war der Sprung ins kalte Wasser. Vom Proberaum, auf die Bühne des Tanztheaters. Und was für eine wertvolle Erfahrung es war.

Es war ein Projekt, um mich mit anderen BIPOC künstlerisch auszuprobieren, abseits von Exotisierung, Tokenism und Abwertung. Ein Ort, an dem wir zusammen Freundschaften aufblühen lassen und Kreativität füttern konnten. Aus dieser Erfahrung bin ich gestärkt und mutiger herausgegangen und ich weiß ich werde noch lange an den Erinnerungen zehren. Damals vor ein paar Monaten, war ich naiverweise zuversichtlich, dass ich die kommenden Jahre weitere Möglichkeiten haben werde, mich hier auszuprobieren. Oder neuen Menschen bei ihrer Premiere zujubeln zu können. Aber diese Zuversicht ist verschwunden. Dass Ballhaus muss um seine Existenz bangen.

Seit dem 20.11.2024, ist der Haushaltsplan öffentlich und Kürzungen stehen an. Bildung, Gesundheit, Tourismus, Kultur. Gekürzt, gekürzt, gekürzt, gekürzt.

Im vermeintlichen Land der Dichter und Denker, wird unnachsichtig die Kulturszene abgeschafft.

Arbeitsplätze werden zum Jahresende verloren gehen oder noch prekärer strukturiert, als sie ohnehin schon waren. Kulturprogramme, die wesentlich zur Bildung und Förderung von Solidaritäten, Diversität und Inklusion beigetragen haben, werden gestrichen. Wertvolle und mit langem Atem etablierte Projekte und Strukturen sollen zum Jahresanfang 2025 abgewickelt und damit vernichtet werden. Und Mitarbeitende, sowie Freischaffende sitzen nun zum Jahresende im Schock und Ungewissen. Bangen, um finanzielle und strukturelle Sicherheit.

Da frage ich mich manchmal was in diesen Ausschüssen besprochen wird, unter dem Deckmantel des demokratischen Handelns? Denn wo wurde die Öffentlichkeit mit einbezogen? Wo wurde die Kunst- und Kulturszene mit einbezogen? Wo war die Mitbestimmung und Transparenz?

Es scheint, als wäre der zentrale Fokus ein kapitalistischer. Die Fragen scheinen zu sein: Wie bleiben wir – der deutsche Staat – wirtschaftsmächtig? Wie kommen wir schnell aus den Schulden heraus? Wie halten wir im wirtschaftlichen Wettbewerb mit? Anstatt: Was brauchen die Menschen in Deutschland? Wer sind die Menschen in Deutschland? Wo sind ihre Unsicherheiten? Welche Strukturen sind zivilgesellschaftlich entstanden und haben sich weiterentwickelt? Und wie können wir diese unterstützen? Welche Lehren ziehen wir aus den Vorjahren und wie blicken wir in die Zukunft? Nein. Kapitalismus und Krieg trumpfen gegen das Sozialwesen.

Es werden ein paar Zahlen hin und hergeschoben. Von Menschen die Theater nur aus den Publikumsrängen kennen. Von Menschen die Kulturräume nur aus der Besuchenden-Perspektive kennen. Kunst- und Kultur wird in Zahlen umgeformt. Gesellschaftliche Relevanz wird in Prozentsätzen gemessen.

Und dann werden Kürzungen beschlossen. Wobei sich noch auf die Schulter geklopft wird, denn es hätte ja schlimmer kommen können.

Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen haben Angst, Menschen radikalisieren sich, Menschen sind wütend, Menschen sind frustriert. Aber es hätte ja schlimmer kommen können? Wie kann man sich damit begnügen.

Menschen suchen Hoffnung, Menschen suchen Austausch. Wir wollen verstanden und gesehen werden. Menschen suchen Zuneigung. Und dafür brauchen wir Orte und Räume, in denen wir dafür Platz finden könnten und wir uns begegnen könnten. Doch der Hahn wird zugedreht.

Denn wir sind eine Firma und dem Budget geht´s nicht gut.

In einer Zeit in der in Deutschland, nicht nur im Winter, ein kalter rauer Wind weht. Jetzt, wo immer weniger sagbar wird und immer mehr Spaltung herrscht, ist das ein Fehler. Und wir sollten diese Kürzungen nicht einfach hinnehmen. Besonders nicht wir, die schon von vornherein mit struktureller Benachteiligung zu kämpfen haben. Meine BIPOC Geschwister und Allys. Meine Siblings, die auf anderen Wirkebenen von diesem Dominanzsystem benachteiligt und ausgebeutet werden. Ich weiß, dass ihr da seid, schon lange. Standhaft und beständig.

Ich schreibe aus Wut und nicht weil ich eine klare Lösung habe. Frust, Trauer und Unverständnis. Alltägliche Gefühle. Aber ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Und ich weiß auch dass wir viele sind. Wir, dass sind du und ich, deine Mama, dein Opa, dein*e Freund*in, die*der*they sich gerade politisiert oder schon lange dabei ist.

In deutscher Schule und Gesellschaft wird uns abtrainiert, uns zu solidarisieren und zu protestieren. Bloß nicht laut sein. Bloß nicht auffallen. Bloß nichts in Frage stellen.  Aber nur weil uns etwas beigebracht wurde, nur weil etwas von uns erwartet wird, heißt es nicht, dass wir nicht auch anders können. Seit Jahrhundert beweisen wir, dass Repression und Gegenwehr zwei Seiten derselben Medaille sind. Widerstand ist unser Erbe. Und unsere Vorfahren haben es bewiesen. Dass Kapitalismus uns zermürben will, aber wir sind Diamanten. Immer noch da, immer noch stark. Wir wissen wer wir sind, so sehr uns das abgesprochen wird. Und so sehr sich der Staat Stille wünscht, umso lauter schreien wir. Ich wünsche uns allen also einen langen Atem, geölte Stimmbänder und einen ganzen Chor an Menschen, die in Solidarität zusammenstehen. Also: Lasst uns laut sein!

© privat