Es ist Sommer, oder sowas in der Art. Zumindest zwischendurch, wenn Wolken und Regen sich mal kurz eine Auszeit nehmen, weil sie selbst checken, dass sie die Jahreszeiten verwechselt haben. Es ist also auch Zeit für Festivals. Wiesen und Plätze, die sonst oft unberührt bleiben und nur an warmen Tagen Aufmerksamkeit bekommen, erstrahlen in den funkelnden Reflektionen von Lametta, das im Rauch von nie zu erwarten gewesenen E-Kippen-Geschmäckern tanzt. Festival bedeutet das Aufeinanderprallen vieler unterschiedlicher Menschen mit keinem bis Absturz-Pegel, von wollt-mal-reinhören zu Fans-seit-dem-ersten-Tag, von sensibel bis „mir doch egal”. „Entschuldigung, wolltet ihr nicht eigentlich nur durchgehen? Jetzt steht ihr stattdessen genau vor uns”, fragt Asal nachdem sie mehrmals versucht hat locker zu bleiben, während Wut die Kommandozentrale auseinandernahm. Die Antwort: keine, die bei Asal Verständnis für das Verhalten bewirkt. Was soll´s, die Plätze sind immer noch eines Fans würdig, also vergeht auch dieser den pseudo Gerechtigkeitssinn kitzelnde Moment.

Es geht los, der lang erwartete Rapper kommt. Ein Song über Polizeigewalt, über die Lebensrealität von rassifizierten Jungs, die instinktiv vor den Cops fliehen, weil Bleiben schon zu oft zu Unrecht geführt hat. Kurz vorm Refrain kommt es unerwartet aus der Menge: „Jo, jo, joooo Moshpiiiit!!”.
Abgehen und alles rauslassen. Beim Moshpit, dessen Ursprung in der Metal-Szene liegt und auch im Punk verbreitet ist, geht es um „starke Emotionen” oder „Chaos”. So meint es das Kunstwort “mosh”. In einem „Kessel” oder einer „Grube”, im sogenannten Pit, springen, stoßen und schubsen sich die Fans. Gestürzten Personen wird in der Regel fürsorglich wieder hochgeholfen, doch leider fühlen sich nicht alle sicher. Bei dem Song zu rassistischer Polizeigewalt sind es hauptsächlich white boys, die den Raum in der Mitte einnehmen, wer ist schon überrascht (spoiler: niemand). Im Zentrum der Aufmerksamkeit springen also überwiegend weiße Körper durch die Gegend, ohne Blick auf andere, ohne den Blick für die Menschen, die mit dem Song relaten können. „Darf man jetzt nicht mal mehr Moshpits machen???”, fragt sich jetzt wohl die eine oder andere Person.
Auch wenn durchaus Fragen aufkommen, wie es dazu kam, dass Moshpits sogar auf Mainstream-Pop-Konzerten ein Ding geworden sind, möchte dieser Text auf etwas anderes verweisen. Nämlich darauf, dass selbst wenn Künstler*innen mit „klarer Kante“ Forderungen gegen diverse Diskriminierungsformen anbringen, insbesondere in Kombination mit paar Promille, solche Statements nicht automatisch zu einem sensibleren Umgang unter den Konzertbesucher*innen führen. Für die Besucher*innen, die sich in den Lyrics wiederfinden und gewisse Erwartungshaltungen mitbringen, kann damit das Konzert zum Wut-Runterschlucken-Event werden.
Ähnliche Erfahrungen mit Unachtsamkeit und Ausdrücken patriarchaler Gewalt gibt es natürlich auch in anderen Szenen: Zhu bekommt zum Beispiel mit, wie die Sängerin einer feministischen Punk-Band cis Macker mehrfach dazu auffordern muss, den Bereich vor der Bühne für FLINTA*-Personen freizugeben. Die Sängerin kündigt schließlich sogar eine mögliche Unterbrechung an, bis sich die Typen endlich in Bewegung setzen.
Welche Erwartungen folgen auf politische Songs?
Bei unserem Gedanken-Mosh soll es nicht um spezifische Musik-Szenen oder die Branche als solche gehen, nicht um die Kuration von Line-ups, patriarchale Gewalt oder Barrierefreiheit, wozu es schon viele Diskussionen gab. Es geht auch nicht ums Vordrängeln und alman-mäßig seinen hart erkämpften Platz behalten dürfen, für den der Klo-Break geopfert wurde. Nach dem Festival-Sommer beschäftigt uns die alte Frage der eigenen Haltung, des eigenen Handelns. Darum, wie wir eigentlich miteinander umgehen wollen, wenn Massen an Menschen zusammenkommen, keine persönlichen Grenzen durch Sitzplätze markiert sind und damit hypothetisch first come first serve gilt. Nicht um strukturelle Probleme auf das Individuum abzuwälzen, sondern um Gemeinschaften im Kleinen zu transformieren – gerade auf Konzerten, deren Inhalte sich links verorten. Wie Suzy in „PUNK as F*CK. Die Szene aus der FLINTA-Perspektive” schreibt, gehört zu Punk beispielsweise eine politische Haltung, „eine gewisse Solidarität und der Wille, sich füreinander und miteinander einzusetzen”. Aus unserer Perspektive rahmen politische Lyrics, egal ob im Hip-Hop oder Punk, ein unausgesprochenes commitment, von denen Handlungen abzuleiten sind.
Wir wünschen uns, dass Konzerte und Festivals Orte sind, an denen wir Alternativen ausprobieren können, Alternativen zu diskriminierenden Strukturen in Gesellschaft. Orte an denen wir selbst Initiative ergreifen und uns nicht nur auf die Strukturen der Veranstalter*innen verlassen. Vereinzelt gibt es schon Positiv-Beispiele. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist der Wunsch auch eine Erwartung, weil wir uns an diesen Orten zueinander in Beziehung setzen. Eine Erwartung, dass wir füreinander Verantwortung übernehmen, in der Venue, aber auch danach, wenn wir wieder in alle Himmelsrichtungen auseinanderstoben. Manch eine*r mag es übertrieben finden, die gleiche Form von Solidarität wie von Genoss*innen zu erwarten. Dass sich Konzertbesuchende fragen „was sie gemeinsam sind und werden können”, wie Şeyda Kurt in „Hass” im Kontext Genoss*innenschaft schreibt, eben weil sie sich anders aufeinander beziehen. Immerhin treffen sie sich für Musik, und nicht zum Plenum, fair. Aber der Grundgedanke passt dennoch: Wenn die Lyrics und ihre Forderungen, die aus den Lautsprechern ballern, politisch sind, ist dann nicht auch der gemeinsame Raum politisch? Werden diese Forderungen nicht auch an uns Fans gestellt? Wie balancieren wir die Gleichzeitigkeit zwischen dem Abfeiern der Texte und der teils konträr gelebten Praxis von manchen? Wie kommen wir dahin, dass es nicht die Interpret*innen sein müssen, die auf Awareness hinweisen?
Eigentlich alles kalter Kaffee und schon unzählige Male darüber gestritten. Wir haben Lust auf Konzerte, auf Gänsehaut und das Zugehörigkeitsgefühl, wenn die Menge zusammen laut singt. Wir wollen uns lebendig fühlen, ohne die Freiheit und Sicherheit anderer einzuschränken. In diesem Sinne: moshen ist gut, zeitgleich aufeinander aufpassen besser.