Dieser Artikel ist Teil unserer Reihe „#SecurityCheck“, in der wir die Frage aufwerfen, wer sich in dieser Gesellschaft sicher fühlen soll und warum migrantisierte und rassifizierte Menschen dabei oft ungeschützt bleiben. Hier geht es zu den anderen Artikeln der Reihe:

#SecurityCheck: Ist Sicherheit nur begrenzt möglich?

#SecurityCheck: Mehr Kontrollen – Mehr Sicherheit?

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von CopwatchFFM

Frankfurt ist eine Stadt mit vielfältiger Geschichte an migrantischer Selbstorganisation und antirassistischem Widerstand. Die Kritik an der Polizei und die Einforderung von einem Recht auf Stadt spielten dabei immer eine zentrale Rolle. Bereits in den 1990er Jahren kritisierten FeMigra (Feministische Migrantinnen, Frankfurt) beispielsweise die rassistischen Kontrollen und Kriminalisierungen von Jugendlichen insbesondere an der Konstablerwache (FeMigra 1995).Die Initiative Christy Schwundeck leistet seit  2011 enorme Arbeit und sensibilisiert darüber hinaus für das Thema in Frankfurt. Über diese frühen Aktivitäten aus mehrheitlich migrantisierten Bündnissen vernetzten sich Einzelpersonen und Gruppen, die sich stärker mit den Themen Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt auseinandersetzen.

Auch die Gruppe Copwatch FFM gründete sich aus der Initiative Christy Schwundeck heraus. Die politische Gruppe gründete sich 2013 mit dem Ziel zusammen der Normalität von Racial Profiling die konkrete Unterstützung für Betroffene, solidarische Aktivierung von Passant*innen und politische Öffentlichkeitsarbeit entgegenzusetzen. Unsere Arbeit hat drei politische Schwerpunkte: die Telefonhotline, die Informationsstelle und die Dokumentation rassistischer Polizeikontrollen in Frankfurt.

Wenn ihr rassistische Polizeikontrollen, Übergriffe oder andere Formen von Racial Profiling erlebt, könnt ihr uns unter 069 – 34 877 315 erreichen. Wir dokumentieren nach Absprache mit den Betroffenen den Vorfall anonym und beantworten erste Fragen. Auch wenn ihr als Passant*in rassistische Übergriffe beobachtet, könnt ihr uns anrufen. So können wir auch diese Fälle dokumentieren und ihr werdet zur aktiven Zeug*in oder kritischen Beobachter*in. Wichtig hierbei ist an die Situation mit Fingerspitzengefühl heranzugehen. Nicht jede kritische Intervention ist von den Betroffenen erwünscht. Auch kann diese dazu führen, dass die Polizist*innen dies als Provokation wahrnehmen und sich die Situation für die betroffene Person verschlechtert.

Wir bieten Betroffenen im Rahmen einer Informationsstelle ehrenamtlich kostenlose unterstützende Begleitung an. Wichtig ist uns dabei insbesondere, dass diese dezidiert mit rassismuskritischen und juristisch informierten Personen besetzt ist. Wir bieten Raum, um Erlebnisse zu schildern und darüber zu sprechen. Gleichzeitig entwerfen wir gemeinsam Handlungsmöglichkeiten und sprechen über mögliche nächste Schritte, wenn gewünscht.
Betroffene wenden sich mit verschiedenen Wünschen und Anliegen an uns. Manche Personen wünschen sich gehört zu werden, einen Raum, in dem ihnen geglaubt und ihre oftmals schrecklichen Rassismuserfahrungen mit der Polizei ernstgenommen werden. Andere suchen Anlaufstellen, die helfen das Erlebte zu verarbeiten, wieder andere Personen brauchen rechtliche Unterstützung. Wir versuchen passende Anlaufstellen für die Betroffenen zu finden und an Kooperationspartner*innen sowie Anwalt*innen, denen wir vertrauen zu vermitteln.

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist die Dokumentation und Sichtbarmachung von Racial Profiling in Frankfurt am Main. Durch Öffentlichkeitsarbeit, die jährlich stattfindenden Aktionen am 15. März und Workshops für Betroffene sowie solidarische Beobachter*innen schaffen wir Räume für Empowerment und Interventionen.

Was ist Racial Profiling?

Menschen aufgrund ihres Aussehens und ohne einen konkreten Verdacht zu kontrollieren, wird Racial Profiling (rassistische Profilbildung) genannt. Racial Profiling umfasst Identitätskontrollen und Durchsuchungen ohne konkrete Indizien auf Grundlage von Hautfarbe und phänotypischer Merkmale, Zuschreibungen wie (unterstellter) (nationaler) Herkunft, Religion oder auch Sprache. Gelebte Erfahrungen von Racial Profiling beinhalten unter anderem für kriminell gehalten zu werden, öffentlich gedemütigt und bloßgestellt zu werden, mit rassistischer Sprache adressiert zu werden und/oder körperliche Gewalt zu erfahren, bis zu ungeklärten Todesfällen in Polizeigewahrsam oder im Rahmen von Festnahmen.
Zudem trägt das wiederholte Anhalten und Durchsuchen von Schwarzen und PoC im öffentlichen Raum durch die Polizei zu deren gesellschaftlicher Kriminalisierung bei, da es in der Öffentlichkeit, besonders bei von Racial Profiling nicht-betroffenen Personen den Eindruck hinterlässt, dass die Polizei einen Grund dazu habe und die Angehaltenen und Durchsuchten tatsächlich kriminell seien (vgl. Open Society Justice Initiative). Racial Profiling (re-)produziert so gesellschaftlichen Rassismus. Wir verstehen Racial Profiling als Ausdruck von sowohl institutionellem als auch gesellschaftlichem Rassismus. Racial Profiling basiert auf Herrschafts- Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen, durch die bestimmte Gruppen anhand von Merkmalen wie Hautfarbe, Ethnizität, Kultur oder Religion kategorisiert, naturalisiert, dehumanisiert, gesellschaftlich ausgegrenzt und ausgebeutet werden (bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Konstruktion und Privilegierung weißer Gruppen). Die Verstrickung der Ebenen des Rassismus, institutionell sowie gesellschaftlich, zeigt sich auch oft darin, dass Betroffenen nicht geglaubt wird, dass sie wirklich anlasslos kontrolliert wurden. Oft kämpfen Opfer daher um die Anerkennung ihrer Unschuld, der demütigenden Erfahrung und Betroffenheit von Rassismus durch diese Praxis, sowohl im öffentlichen Diskurs, als auch privaten Raum gegenüber Freund*innen, Familie oder im Job.

Racial Profiling laut Gesetz?

Da Racial Profiling unter Anderem gegen Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes verstößt ist die Praxis offiziell verboten. Aus diesem Grund leugnet die Polizei, ebenso wie Politiker*innen wie Horst Seehofer, dass es zu rassistischen Polizeikontrollen kommt, obwohl etliche Betroffene, Berichte, Aktivist*innen und Initiativen seit Jahren auf die rassistische Realität  aufmerksam machen, ihre Erfahrungen teilen, Aufklärungsarbeit leisten und dabei auch zahlreiche Fälle dokumentiert wurden.
Entsprechende Polizeigesetze dienen als Legitimation  und ermöglichen trotz Verbot die rassistische Praxis. Es werden also rechtliche Wege gefunden Racial Profiling in der Praxis zu ermöglichen. So darf die Bundespolizei beispielsweise bundesweit in überregionalen Zügen, an Bahnhöfen, Autobahnen, Flughäfen und entlang von Grenzen sowie bis zu 30 Kilometer ins Landesinnere Personenkontrollen und Durchsuchungen ohne konkreten Anlass durchführen, um – so die offizielle Begründung -, illegale Einreise zu unterbinden. Dass dabei insbesondere BIPoC im Fokus dieser Kontrollen stehen wird seit Jahren von Betroffenen und Aktivist*innen kritisiert. Darüber hinaus haben mittlerweile auch mehrere Gerichte geurteilt, dass diese Praxis illegal ist (zuletzt: www.migazin.de/2022/02/03/racial-profiling-gericht-kontrolle-hautfarbe/).

Zusätzlich sind die Landespolizeien in den jeweiligen Bundesländern an sogenannte „kriminalitätsbelasteten Orten“„Gefahrenorten“ oder „verrufenen Orten“ mit Sonderbefugnissen für sogenannte verdachtsunabhängige Kontrollen ausgestattet. An diesen Orten, die von der Polizei selbst ausgewiesenen werden, ist es der Polizei erlaubt Kontrollen ohne das Bestehen eines konkreten Tatverdachts durchzuführen. Es reicht aus sich an einem solchen Ort aufzuhalten, um von der Polizei kontrolliert und durchsucht zu werden.

Da Polizeirecht Ländersache ist variiert der Umgang und die Praxis zu „gefährlichen Orten“.
Mal wird der Öffentlichkeit transparent kommuniziert, welche Orte von der Polizei für  „kriminalitätsbelastet“, „gefährlich“ erklärt wurden (etwa in Bremen, Berlin und Hamburg), oft allerdings werden diese geheim gehalten. In Hessen ist dies der Fall. In Frankfurt kann man allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass etwa das Bahnhofsviertel, die Konstablerwache, Hauptwache und Teile des Allerheiligenviertels als „gefährliche Orte“ gelten. Kurzzeitig werden auch immer wieder einzelne Straßen etwa in Griesheim, Höchst, Rödelheim so kategorisiert. Die Anordnung einen Ort als solchen einzustufen, und somit verdachtsunabhängige Kontrollen zu ermöglichen, erfolgt im konkreten Einzelfall durch die Polizei, auf Grundlage der tatsächlichen Situation vor Ort, so die Antwort vom Innenminister Peter Beuth auf eine kleine Anfrage der LINKEN (Antwort Beuth auf kleine Anfrage der LINKEN, 2020). Das Gesetz bietet der Polizei einen großen Handlungsspielraum und legt den Grundstein für die Möglichkeit rassistisch und anderweitig diskriminierend zu kontrollieren. Sind die Orte nicht veröffentlicht, so kann die Polizei an jeglichem Ort behaupten, dass sie kontrolliert, weil es sich um einen gefährlichen Ort handelt. Nachprüfbar ist dies in vielen Bundesländern erstmal nicht.
Für Betroffene erschwert diese Praxis es sich gegen solche Kontrollen zur Wehr zu setzen.

Die Intersektionale – Der Begriff Intersektionalität meint die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen, Personen können z.B. gleichzeitig von Rassismus, Sexismus und Ableismus betroffen sein – Dimension zeigt sich hierbei, denn an diesen Orten, wie beispielsweise dem Frankfurter Bahnhofsviertel werden besonders Schwarze Frauen, Rom*nja und Sint*ezze und Frauen of Color als Sexarbeiter*innen gelesen und kriminalisiert. Die polizeiliche Überwachung von Sexarbeiter*innen verläuft entlang intersektionaler Achsen der Unterdrückung und Stigmatisierung, wie Selbstorganisationen wie Doña Carmen e.V. aus Frankfurt am Main kritisieren. Queere Personen of Color stehen aufgrund ihrer Herausforderung von Heteronormativität oftmals im Fokus der Polizei. Sie fallen aus den staatlichen femo-und queernationalistischen Rahmungen als zu schützende Subjekte (oft gegen die als Gefahr konstruierten rassifizierten Männlichkeiten) heraus, wie Jin Haritworn in Queer Lovers and Hateful Others. Regenerating Violent Times and Places (2015) gezeigt hat.

Recht auf Stadt bedeutet eine grundlegende Kritik an der Institution Polizei zu üben und über Alternativen zu dieser – wie etwa transformative Alternativen (transformative justice) – nachzudenken. Diese Ansätze streben grundlegendere gesellschaftliche Transformationen und polizeiliche ›Lösungen‹ auf der Basis eines entkriminalisierenden Verständnisses von Sicherheit an. Sie stützen sich auf die Erfahrungen und Wissensbestände von strukturell mehrfachmarginalisierten Gruppen, rassifizierten/LGBT*IQ/geflüchteten/mittellosen Personen und Kollektiven, für welche die Institution Polizei historisch und gegenwärtig stets eine Gefährdung statt Sicherheit und Schutz bedeutet. Die Infragestellung des Rufes nach Polizei als vermeintliche Sicherheitsgarantin eröffnet die Frage, „was macht uns wirklich sicher“ (Brazzell 2018, eigene Hervorhebung) und die Suche nach Alternativen, Perspektiven und Visionen transformativer Praxis. In dem Konzept werden Handlungsstrategien erarbeitet, die auf dem Wissen basieren, dass die Institution Polizei immanent nach intersektional verwobenen Machtverhältnissen und Dominanzlogiken funktioniert. Demnach bietet sie keine Sicherheit für mehrfachmarginalisierte Gruppen oder rassifizierte/LGBT*IQ/geflüchtete/mittellose Personen. Eine FLINT* Person of Colour, die sexualisierte Gewalt im eigenen Haushalt erlebt, traut sich womöglich nicht die Polizei zu rufen, weil diese keine Sicherheit, sondern weitere traumatische Einschnitte wie beispielsweise ein Sorgerechtsentzug bedeuten kann. In transformativen Ansätzen wird Gewalt als etwas, was überall – auch in der eigenen Community – existiert betrachtet. Ziel ist es, Gewalt als systematisch und komplex anzuerkennen und nicht als etwas, was durch das Wegsperren einzelner Gewalttäter*innen gelöst werden kann. In Deutschland stellt LesMigraS eine wichtige Gruppe für die Community-basierte Unterstützung Betroffener dar.

Kämpfe gegen alltäglichen Rassismus sind Kämpfe um ein Recht auf Stadt. Kleine und große Widerstände sind Kämpfe um das Recht auf Stadt! Antirassismus muss intersektional gedacht werden. Es ist Zeit, unsere gemeinsamen Kämpfe stärker zusammenzuführen, damit sich alle in der Stadt bewegen, dort leben und sein können.

*Teile aus diesem Artikel sind in ähnlicher Form bereits hier erschienen: Copwatchffm 2021 „Racial Profiling und Antirassistischer Widerstand, We Look Out For Each Other“ in Frankfurt am Main – eine Stadt für alle?, Hg. Johanna Betz, Svenja Keitzel, Jürgen Schardt, Sebastian Schipper, Sara Schmitt Pacífico, Felix Wiegand, Bielefeld: transcript Verlag.