RASSISMUS IST ORTSUNABHÄNGIG

Wir sind noch in Viet Nam.
Hier tragen viele Menschen Mundschutzmasken. Weiße Menschen hingegen tragen keine einfachen Mundschutzmasken, sondern riesen Teile mit Filtern, die ihr ganzes Gesicht verdecken – als würden sie sich ausrüsten.

Ich erhalte eine E-Mail vom Arbeitgeber meiner Mama:
„Wir bitten Sie darum, erst am 16.03. wieder im Büro zu erscheinen. Bitte nicht böse sein, das sind einfach Vorsichtsmaßnahmen.“
Meine Mama freut sich, dass sie nicht arbeiten muss. Darüber würde sich sicher jede Person freuen. Doch so langsam versteht sie, dass daran etwas falsch ist.
„Deine Schwester wird dann sicherlich auch frei kriegen, oder? Und dein Bruder wird dann auch von der Schule freigestellt, oder? Muss ja.“ An sich, ja, denn das würde natürlich irgendwie Sinn ergeben, oder?
Aber eigentlich ergibt nichts davon Sinn. Denn schließlich gab es zu dem Zeitpunkt keine Infizierten in Viet Nam, und schließlich waren wir dort, und nicht in Italien.

Ich bin sauer, so richtig sauer.
Das ist einfach bescheuert. Denn wenn sie am 16.03. wieder ins Büro käme, dann wären es genau zwei Wochen. Das habt ihr euch aber gut überlegt. Meine Mama bleibt weiterhin glücklich, denn zumindest wird sie für die Zeit weiterhin bezahlt. Aber ich merke auch, dass sie dieses Unbehagen unterdrückt.

 

EINE WOCHE SPÄTER

Mein Bruder, meine Mama und ich laufen zusammen nach Hause. Wir reden über den Corona-Virus, als gäbe es kein anderes Thema mehr auf dieser Welt. Meine Mama versteht das ganze nicht und erst Recht nicht, warum Menschen denken, wir hätten den Virus.
„Nhung ma me la nguoi Viet Nam ma.“
Ich sage ihr, dass es egal ist, wer du in einer weißen Mehrheitsgesellschaft bist. Weiß-deutsche Menschen denken eh, dass wir alle gleich sind und dass alle Asiat*innen Chinesen sind. Es muss wahrscheinlich echt schmerzhaft für sie gewesen sein, das zu realisieren. Und mir tut es weh, zu erkennen, dass Rassismus auch noch anders existiert.

 

ZURÜCK IN DEUTSCHLAND

Ich bin wieder in meiner WG.
Corona ist das Number One Thema. Echt.
Sie reden über nichts anderes mehr, als würde die Welt untergehen. Denn was in solchen Zeiten angesagt ist, sind Corona-Partys, Corona-Songs und Corona-Ferien. Ich sitze daneben und auf einmal spüre ich diese Projektion auf mir. Erwarten meine weiß-deutschen Mitbewohnis gerade von mir, dass ich ihnen sage, dass ich infiziert bin? Sie sagen es nicht, aber ich spüre ihren rassistischen Blick. Und es fühlt sich sehr unangenehm an. 

Dieser Ausnahmezustand, in dem wir leben, bringt die wahre Seiten des Kapitalismus hervor:

Die Menschen bekommen Angst und Panik, Angst darüber Kontrolle zu verlieren, über ihr eigenes Kapital, über Zeit und ihre eigene Verwertung. Menschen erleben eine Existenzkrise, weil sie sich fürchten. Sie klauen Desinfektionsmittel aus den Krankenhäusern, beklauen sich gegenseitig, greifen sich im Supermarkt an und verdecken sich mit dem Schal das ganze Gesicht. Den meisten ist es egal, wie es Wohnungslosen oder den Geflüchteten auf Lesbos in diesen Zeiten geht.
‚Hauptsache ich hab endlich wieder Klopapier!’. 

Luxusprobleme nenne ich das.

Was an der ganzen Sache noch perfider ist: Die Allgemeinsituation wird vom Polizeiapparat missbraucht, um staatliche Kontrolle auszuweiten und zu legitimieren.
Steigende Polizeipräsenz: Polizei patrouilliert in Parks 24/7 und sperrt Kinderspielplätze ab. Regeln und Maßnahmen werden aufgestellt. Wer sie bricht, wird bestraft.
Überwachungsstaat eben.

Ich frage mich, wann der Zeitpunkt kommt, wo die Polizei auch vor meiner Tür patrouilliert.

 

WAS IST JETZT EIGENTLICH MIT DEM ANTI-ASIATISCHEN RASSISMUS?

Racism is in the air.
Ihr vergesst das immer wieder, aber ich vergesse es keinen Tag. Ich bin es nämlich im Gegensatz zu allen leid, diese ganzen Witze ständig zu hören. 

Ich habe nämlich keine Angst mich anzustecken, wenn ich raus gehe, sondern ich bekomme Panik vor der steigenden Polizeipräsenz und davor Opfer von Racial Profiling zu werden.
Ich hab Angst davor mich in die Bahn zu setzen, weil ich asian bin und mich alle angstvoll anschauen.
Ich hab Angst davor auf der Straße angespuckt und rassistisch beschimpft zu werden.
Ich habe Angst um meine Mama, die zur Arbeit fährt und jederzeit angegriffen werden kann.

Denn es ist nämlich so: Diese ganze Debatte um den Corona-Virus führt zu vermehrten anti-asiatischem Rassismus. Das was gerade passiert wird auf ewig in den Köpfen der Menschen bleiben. Sie werden die ganze Debatte weiterhin auf China und asiatisch-markierte Menschen projizieren. Und diese Zeit mit Bildern von Asiat*innen einspeichern. Genauso wie sie zu Ebola das Bild von einer Schwarzen Person vor sich haben. Das rassistische Bild gegenüber asiatischem Essen, als „exotisch“, „anders“, „eklig“ und „dreckig“ verfestigt sich damit:
Glutamat, auch bekannt als Hefe-Extrakt, welches sich in jedem Essen befindet, sei weiterhin krebserregend, und Bubble Tea überzuckert. Und da wollen mir Menschen immer noch sagen, dass es keinen Rassismus gegen Asiat*innen gebe.

Ich muss im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, neben dieser kompletten Veränderung, zeitgleich noch Trotz- und Schutz-Reaktionen und -mechanismen entwickeln, damit ich diese ganzen paranoiden Gespräche und Witze emotional aushalten kann.

Ich muss schweigen, wenn ein PoC-Freund sagt: „Ich komme mit meiner Bachelor-Arbeit nicht weiter, aber habe überlegt mich einfach in Corona-Quarantäne zu setzen. Das ist glaube ich ganz smart zu tun.“ Schön, dass du dir bei so einer Krise Vorteile ziehen kannst. Ich hingehen warte nur darauf, dass alles endlich aufhört.

 

AN WEN DENKT IHR?!

An wen ich denke, sind all die asiatischen Gastarbeiter*innen, die sich mit Mühe, Schweiß und Schmerz ein Leben in Deutschland aufgebaut haben, um sich und ihre Familie ernähren zu können. Damit sie unter rassistischen Anfeindungen auch ein gutes
Leben führen können.
An all die asiatischen Restaurants, die boykottiert und angegriffen werden.
An meine Mama, die von einer dummen alten weißen Oma bei Aldi angemault wird, weil sie sich Brot mit der Hand nimmt. Weil das nicht alle tun, oder wie?
An meinen Bruder, der von seinen friends dumm angemacht wird.
An meine asian friends, die in der U-Bahn beschimpft werden.
An alle asians, die in weißen Mehrheitsgesellschaften leben und diesen schrecklichen Rassismus gerade besonders nochmal aushalten müssen.

 

ES GIBT ABER HOFFNUNG…

In solchen Zeiten wie diesen und den ganzen Angriffen gegen asiatisch-markierte Personen, wird auf der anderen Seite anti-asiatischer Rassismus auf einmal sehr sichtbar. Endlich.

Das ist eine gute Sache, auch wenn sie auf Kosten des Leidens anderer passiert. Denn dass die Wirkung von Rassismus ist, dass er uns spaltet. Auch unter uns BIPoCs. Da Rassismus gegenüber Asiat*innen so unsichtbar gemacht wird, denken die meisten, dass es ihn nicht gäbe. Und dass asian Personen deshalb in BIPoC Representationen
oft nich Teil sind oder ihnen ihre Rassismuserfahrungen oft abgesprochen und nicht ernst genommen werden.

In solchen Zeiten wie diesen sehe ich eine Chance, endlich anti-asiatischen Rassismus seine Sichtbarkeit und seine Wirkmächtigkeit gesamtgesellschaftlich greibar und diskutierbar zu machen. Eine Chance, in der wir asian Personen in Deutschland
uns endlich kollektiv organisieren können.
Unsere Stimme erheben.
Unsere Wut nach außen tragen.
Unseren Schmerz miteinander teilen.
Uns miteinander solidarisieren.
Uns unsere Selbstbestimmung zurücknehmen.
Uns gemeinsam stärker und widerständiger machen.

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