Anil über Männlichkeit
Schwere Kost

Das Thema Männlichkeit ist keine leichte Kost. Kein Fingerfood, das man auf Partys schnell mal snackt, sondern eher ein sehr mächtiges Gericht, wie ein Riesenburger mit Pommes, 0,5 l Cola und deftigem Nachtisch. Männlichkeit ist beladen, schwer zu greifen und nicht wirklich beliebt als Gesprächsthema. Eines scheint aber einfach: Die Vorstellung, wer oder was „männlich“ ist. Aber nicht, was Männlichkeit wirklich für Auswirkungen auf Männer bzw. auf die Gesellschaft hat. In meiner Familie wurde nie offen über Männlichkeit als Konzept gesprochen. Aber jede Person hatte eine Idee davon was es heißt ein „Mann“, ein „Adam“ zu sein. Meine Eltern sind in den 80er Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Mein Vater floh aus politischen Gründen, fand aber seine neue Heimat als Lehrer für muttersprachlichen Unterricht in Mittelhessen. Dort bin ich zur Welt gekommen.

 

Jugendsünden

In meiner Jugend unterschied ich mich nicht von meinen Freunden. Wie jeder in meinem Freundeskreis spielte ich gerne Fußball, ging regelmäßig auf Partys, um zu tanzen und meine Freiheit zu feiern endlich die Dinge zu tun, die Spaß machten, denn Schule war purer Zwang. Dass dabei Mädchen eine bedeutende Rolle spielten, stand für mich außer Frage. Immer wenn wir mit den Jungs in Clubs oder auf Geburtstage gingen, hieß das erklärte Ziel jemand anzumachen. Oft genug Knutschen, um es danach stolz den Jungs zu berichten, wenn wir im Einkaufszentrum beim McDonald’s unseren McSundae mit Schokolade bestellten und solange vom Abend berichteten, bis auch wirklich jeder aufgegessen hatte. Mein Vater wusste von alle dem nicht viel. Er freute sich, dass ich viel unternahm und zeigte sich stolz, als ich ihm erzählte, dass ich mit 16 meine erste Freundin hatte. „Wie schön, dass ihr euch gefunden habt. Aber behandle sie immer wie ein Mann!“

 

Schick mal pic!

Eine genaue Vorstellung davon hatte ich nicht. Ich wusste, dass er damit meint, dass ich ehrlich und direkt sein und auf gar keinen Fall jemanden verletzten sollte. Aber umso mehr ich während meiner Pubertät mit Freunden unterwegs war, merkte ich sehr schnell, was für perfide Ausmaße dieses Mann-Sein in der Jugend hatte. Ein Beispiel: Ich notierte mir sorgfältig Namen derer, mit denen ich was hatte oder war als TurKisHPlaya_92 ständig online auf ICQ, um Mädchen mit „Schick mal pic“ anzuschreiben. Freunde von mir gingen sogar so weit, dass sie zu Fasching T-Shirts anfertigten mit der Zahl von Mädchen darauf, mit denen sie was hatten. Es war für sie eine Bestätigung ihres Mann-Seins, ihrer performativen Kraft und eine übliche Ausprägung von Männlichkeit, die darauf abzielt, sich ständig und überall vergleichen zu müssen. Ob es in diesem Fall Frauen sind, die auf bloße Zahlen reduziert wurden, war ihnen egal.

 

Auf jeder Party das gleiche Muster

Ich wollte das damals nicht, aber hab natürlich auch darüber nachgedacht, weil der Gruppendruck so groß war. Mein Vater hat davon nichts mitbekommen, aber ich begann mich nach der Erfahrung an Fasching damit auseinander zu setzen, wie ich zu dem Ganzen stehe. Damals trank ich nicht, aber ich war ständiger Zeuge von übergriffigem Verhalten, von einer Atmosphäre des „Jetzt komm schon“ und „Bitte, nur dieses eine Mal“. Im Studium änderte sich das nicht wirklich. Auf jeder Party das gleiche Muster. Wir trinken, wir tanzen, wir fragen uns, ob wir jetzt gehen sollen „um bei mir noch was zu trinken“. Dass das alles durch jahrelang langsam aufbauende gefährliche Vorstellungen von Männlichkeit geprägt war, ist mir erst zu spät aufgefallen. Wie zum Beispiel Frauen als Zahl zu sehen und die auf sein T-Shirt zu drucken. Oder der Rat meines Vaters, der zeigt, das Ehrlichkeit und Augenhöhe nur mit Männlichkeit einhergingen und nicht der Standard gegenüber Frauen waren.

 

Schließlich waren alle so…

Schließlich waren alle so, deshalb könne es nicht schlimm sein. Aber das war es. Männlichkeit, so Wikipedia, „beschreibt die Summe der Eigenschaften, die für den Mann als charakteristisch gilt.“ Diese Eigenschaften waren, wie auch mein Vater sagte, Ehrlichkeit, Direktheit, aber eben auch sich über Dinge stellen, (unrechtmäßig) einfordern und vor allem keine Schwächen und Emotionen zeigen, insbesondere nicht gegenüber Frauen. Mein Vater versuchte mir all das vorzuleben, auch wenn er es nicht durchziehen konnte. Manchmal ertappte ich ihn dabei, wenn er in einer Diskussion mit uns nicht weiterkam, und in die Küche ging. Nicht um was zu trinken oder zu essen, sondern um zu weinen, denn er wollte nicht, dass sein Sohn sieht, wie er weint. Aber genau das habe ich mitbekommen. Und genau diese Erfahrung war so wichtig für mich. Mein Bild von Männlichkeit wurde stark von ihm geprägt. Ihn zu sehen, wie er gestärkt aus einem Moment der Verletzlichkeit kommt, zeigt mir: Es tut gut, Gefühle zu zeigen. Und genau das macht diese schwere Kost von Männlichkeit erträglicher. Auch für mich.

Twitter: @altintas_anil
IG: @_faanil

 

© Foto: Shaheen Wacker

 


Fikri Anıl Altıntaş

Fikri Anıl Altıntaş, 27, ist freier Autor und Projektmanager aus Berlin und schreibt über (toxische) Männlichkeitsbilder, Orientalismus und postmigrantische Themen. (Pressefoto: Shaheen Wacker)

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