Die Idee zu diesem Text entstand im Anschluss an einen Workshop von Aretha Schwarzbach-Apithy mit dem Titel „Weiße Erziehung, Angst und wir“ auf der in*vision – seminar und festival 2017, der bei mir nachhaltig Eindruck hinterlassen hat. Der Text wurde in seinen Grundzügen bereits Ende 2017 geschrieben. Viele im folgenden angesprochenen Gedanken und Inhalte wurden in diesem Workshop von der Gruppe aufgebracht und diskutiert. Aretha Schwarzbach-Apithy ist gelernte Erzieherin, als Aktivistin und Trainerin in der Black Community aktiv; in ihrer Doktorarbeit analysiert sie die bürgerliche Erziehung als weiße Erziehung.

In Teil 1 dieses Textes habe ich über die Rolle von Rassismus bei Erziehung und insbesondere weiße Erziehung gesprochen. Hier geht es jetzt um die Folgen, die das Nicht-Thematisieren von Rassismus in der Erziehung haben kann und welche Umgangsmöglichkeiten ich persönlich damit gefunden habe.

 

Angst und Paranoia, Vorsicht und Selbstzweifel

Wenn Rassismus während der Kindheit und Jugend nicht oder kaum explizit zum Thema gemacht wird und kein Raum existiert, persönliche Erfahrungen zu verarbeiten, kann die Angst vor neuen Verletzungen eine ständige Begleitung werden. Grund dafür ist, dass Sprache und Wissen darüber fehlen, die eigenen Erfahrungen zu verstehen und sie zu benennen. Was bleibt, ist ein ohnmächtiges Gefühl, ausgeschlossen zu sein, ohne dass dieses konkret angegangen werden kann.

Mit der alltäglichen Erfahrung von rassistischen Sticheleien lernen wir, ständig auf der Hut zu sein. Durch diese sich wiederholenden Situationen wird es fast unmöglich, nicht  zu denken, dass gleich der nächste Spruch kommt, der nächste abfällige Blick, die nächste Ausgrenzung oder Abwertung.  Mangels aktiver Auseinandersetzung kann dann eine Art Vorsicht entstehen, ohne dass bewusst wahrgenommen wird, woher sie genau kommt. Die Angst vor Verletzungen erlernen wir bereits  bei unserer Erziehung, insbesondere auch  an deutschen Schulen, wo Rassismus selten oder wenn nur oberflächlich thematisiert wird.  Zugleich kann die Angst uns im Rahmen unserer familiären und anderen außerschulischen Erziehung begegnen und sich dadurch weiter festigen.

Diesen Worten stimme ich voll und ganz zu. Am Ende des Tages kommt zu der oben beschriebenen Angst vor erneuten Verletzungen noch  ein ständiger innerer Selbstzweifel hinzu, ob eine Verletzung gerade tatsächlich stattgefunden hat, oder eine Situation einfach nur „zu sensibel“ wahrgenommen wurde. Dieser Zustand, in dem die eigene Wahrnehmung beständig in Frage gestellt wird, ist eine zusätzliche Belastung.

Sich dieser Angst, der Vorsicht und der Selbstzweifel bewusst zu werden, sie zu verstehen, braucht enorm viel Zeit – besonders dann, wenn ein junger Mensch sich selbst erarbeiten muss, woher diese Angst kommt.

 

Was tun?

Dieses „auf der Hut sein“ bewusst wahrzunehmen und zu verstehen, versetzt eine*n in die Lage, einen Umgang damit zu finden. Deshalb ist es in rassistischen weiß dominierten Gesellschaften enorm wichtig, zunächst ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Sobald dies der Fall ist, kann im nächsten Schritt über Handlungsmöglichkeiten nachgedacht werden, die über das bloße Aushalten des Alltags hinausgehen. Insbesondere finde ich dabei wichtig, zu überlegen wie die Verarbeitung und der Umgang mit Rassismus und den eigenen Verletzungen einen empowernden, Prozess in Gang setzen können. Am Ende eines solchen Prozesses kann die Fähigkeit stehen, mit erlebtem Rassismus so umzugehen dass Angst, Verletzung und Selbstzweifel keine Zwangsläufigkeit mehr sind (muss aber nicht). Empowerment verstehe ich als (Selbst-)Ermächtigung oder (Selbst-)Befähigung, einen Umgang mit Rassismus zu finden, der es möglich macht die eigenen persönlichen Ziele zu verfolgen und dabei das eigene Wohlergehen sicherstellen zu können – trotz der rassistischen Verfasstheit dieser Gesellschaft.

 

Weiße Erziehung
Was bedeutet weiße Erziehung?

 

Austausch und Vernetzung

Zunächst haben mir Austausch und Vernetzung bei der Verarbeitung von Rassismus weitergeholfen. Im Gespräch mit anderen BPOC[1]  konnte ich eine Sprache erlernen, um die eigenen Erfahrungen zu beschreiben. Außerdem ging damit das Gefühl verloren, die einzige Person mit solchen Erfahrungen zu sein. Festzustellen, dass die inneren Konflikte um die eigene Identität bei so vielen Personen ähnlich erlebt werden wie bei mir selbst, ist für mich schon ein gewaltiger Schritt Richtung (Selbst-)Ermächtigung gewesen.

 

Selbstorganisation

Vernetzung und Austausch können durch Selbstorganisation zum Beispiel in Gruppen, Organisationen, Vereinen etc. verstetigt werden. Aus einer eher lockeren Zusammenkunft kann so die Grundlage für eine langfristige politische Zusammenarbeit werden. Wenn wir uns mit anderen Personen, die Rassismus erleben zusammentun, können wir regelmäßig in einen empowernden Raum zurückkehren, aus dem wir Kraft für „die Welt da draußen“ schöpfen können. Damit das funktionieren kann, glaube ich dass es enorm wichtig ist, in solchen Gruppen viel Raum für die Gefühle und Bedürfnisse aller Beteiligten zu lassen und keine Ausschlüsse zu reproduzieren. Das Erleben von Ausschlüssen erinnert sonst nur an die alltäglichen Ausschlüsse. Nur wenn die Gruppe ein sicherer Ort für all die sein kann, die ein Teil davon sind, kann sie zum oben genannten heilenden und empowernden Prozess beitragen.

 

Lesen und Hören

Neben persönlichen Begegnungen habe ich sehr viel aus Büchern und Musik (zum Beispiel hier, hier, hier und hier), Podcasts (zum Beispiel hier www.mixcloud.com/DiasporAsia/folge-0-intro/) etc. mitgenommen. Eine nicht ganz aktuelle Lektüreliste (Stand 2013) findet sich hier (www.glokal.org/literaturempfehlungen/). Weitere Links zu Videos,  weiteren Materialien usw. gibt’s hier (www.mangoes-and-bullets.org/). Mir – alleine oder zusammen mit anderen – Wissen anzueignen und zu erarbeiten, habe ich als sehr ermächtigend empfunden. Es wurde bereits zu vielen Aspekten von Rassimsus etwas geschrieben, gesagt, gesungen, gerappt, verfilmt. Daraus lässt sich, finde ich, vieles lernen, was die eigenen Gedanken und Beobachtungen  stützen und kontextualisieren kann.

 

Körper und Gefühle

Die Arbeit mit dem eigenen Körper und auch mit den persönlichen Gefühlen halte ich für einen sehr wichtigen Bestandteil von Selbstermächtigung. Zu spüren, was wir fühlen und in einer Situation brauchen, bringt uns weg von negativen Gedanken und Zweifeln. Unterdrückung findet auch in den eigenen Köpfen statt, wenn die uns aufgezwungenen Zweifel an unseren Gefühlen hochkommen. Gedanken wie „Das war ja nicht so gemeint“, „Ich bin grade zu empfindlich“, „Ich will jetzt kein Stimmungskiller sein, weil ich Rassismus thematisiere“ sind solche  Beispiele. Intensive Körper- und Gefühlsarbeit kann dabei helfen, diese quasi-Gefangenschaft im eigenen Kopf loszuwerden.

Dazu (und generell zu Empowerment) gibt es auch Workshopangebote in verschiedenen Kontexten, Zum Beispiel von phoenix e.V. und auch auf der in*vision (s.o.), die sich explizit an BPOC richten und die (Selbst-) Ermächtigung zum Ziel haben. Trainer*innen in diesem Bereich arbeiten mit sehr unterschiedlichen Konzepten: Es kann bei einem Training viel um die eigene Biografie, um subjektive Erfahrungen und Verletzungen gehen.  Andere Workshops konzentrieren sich beispielsweise auf die  Entwicklung eines Gespürs für den Körper und die eigenen Gefühle.

 

Nachtrag / Zum Schluss

In diesem Text ging es vor allem um die persönliche Ebene, um die Auswirkungen von Rassismus auf uns als Individuen. Ich finde es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, auch um dieses Leben lebenswert gestalten zu können und sich Handlungsmöglichkeiten für die verschiedensten Situationen zu eröffnen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, Rassismus nicht nur als persönliches, alltägliches Problem zu betrachten, sondern als strukturelles Machtverhältnis. Diese Struktur durchzieht alle Institutionen unserer Gesellschaft, insbesondere auch die wirtschaftlichen Verhältnisse. Persönliche und strukturelle Ebene greifen hier ineinander: Zum einen sind Personen persönlich betroffen, wenn sie aufgrund eines bestimmten Namens mal wieder nicht zum Vorstellungsgespräch für eine bestimmte Art von Job eingeladen wurden. Zum anderen führt das strukturell zum Beispiel dazu, dass migrantisierte Personen insgesamt eher Jobs als Putzkräfte, Security-Mitarbeiter*innen oder Taxi-Fahrer*innen finden, seltener aber als Anwält*innen, Journalist*innen oder Lehrer*innen. Empowerment sollte diesen strukturellen Aspekt von Rassismus immer im Blick haben, auch wenn die persönliche, individuelle Ebene grade im Vordergrund steht.

 

Zur Frage, wie diese strukturelle Ebene angegangen werden kann, beziehungsweise wie die Veränderung gesellschaftlicher Machtverhältnisse Teil von Empowerment sein kann hier noch zwei weiterführende Texte:

Keeanga-Yamahtta Taylor, Race, class and Marxism (socialistworker.org/2011/01/04/race-class-and-marxism)

Flo Herter, Empowerment und Klassenkampf: Gegen den Rassismus des Kapitals (revoltmag.org/articles/empowerment-und-klassenkampf-gegen-den-rassismus-des-kapitals/)

[1] BPOC = Black People and People of Colour; ich meine damit Personen die in Deutschland Rassismuserfahrungen machen und sich als BPOC definieren. Der Begriff People of Color ist ein politischer Bündnisbegriff der aus den USA kommt und in Deutschland in manchen Kontexten als Selbstbezeichnung verwendet wird.

 

Bild: Privat