Beitrag von Skiba
Von meinen Eltern lernte ich sehr früh, welche Bedeutung kollektives Gedächtnis, kollektives Trauma hat. Sie erzählen mir Geschichten über unsere Familie, über alle Länder, die durchquert wurden. Keine Generation blieb seit ihrem Leben in ein und demselben Land. Flucht, Migration, Krieg, Hunger, Angst – Angst verkroch sich tief in mir, verschmolz mit meiner Identität, entblößte sich in
Geschichten,
denen ich nur in meiner Vorstellung zuteilwurde,
Geschichten, so real, dass ich mich selbst in ihnen verlor,
Orte, an denen ich nie gewesen,
Worte, die ich nie gesagt,
Tränen, die ich nie geweint –
Und doch höre ich all diese Stimmen, alle Schreie, alle Gespräche, jedes Lachen, spüre jeden Verlust, jede Umarmung, jede Enttäuschung, jede Hand, jede Wut, jede Angst, jede Verzweiflung, jede Kälte, jeden Sommer, jeden Kuss, jeden Schritt, sehe jedes Kind, jedes Haus, Felder, Städte, Türen, Treppen, Steine, Mauern. Ich fühle jede einzelne Schuld.
In mir sammeln sich Erinnerungen, die nicht meine sind, Kämpfe, die ich nicht austrug, Wege, die ich nicht hinter mir ließ, Orte, die ich nie verließ.
Und doch spüre ich sie alle auf einmal. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, ich spüre alles auf einmal. Ich bin das Produkt aller Entfernungen, allen Entbehrens.
Ich bin hier, weil jemand vor mir war.
Orte, die ich nie verließ.
Orte, an die ich zurückkehren werde.
Bild: privat
Redaktion
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