Gleichstellungsdaten?

Oft kämpfen wir, um zu beweisen, dass wir unterdrückt werden. Oft Kämpfen wir, um zu beweisen, dass es uns gibt und wir auch „ganz normal“ sind. Oft kämpfen wir, um gehört zu werden. Doch wer soll uns eigentlich anerkennen? Wer soll uns zuhören? Was ist unsere unsere heimliche Hoffnung?

Am 2.2.2019 besuchte ich die Veranstaltung „Brücken bauen für Antidiskriminierungsdaten – Europaweit.“ Auf der Bühne saßen Sarah Chander (ENAR - European Network Against Racism),  Daniel Gyamerah (Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership) und Momodou Malcolm Jallow (Mitglied des Schwedischen Parlaments und des Concil of Europe), Anja Reuss (Zentralrat Deutscher Sinti und Roma).  Bis auf letztere waren sich die Personen auf dem Podium einig: Wer nicht gezählt wird, zählt nicht. Ein klares Plädoyer für die statistische Erhebung rassistischer Diskriminierung und die darauffolgende Förderung und Entwicklung von Antidiskriminierungsmaßnahmen seitens des Staates. Ich habe mir die für mich wichtigsten vier Statements herausgepickt, paraphrasiert und meine inneren Konflikte in Form einer Unterhaltung aufgeschrieben.
1.
Wer nicht gezählt wird zählt nicht

Die Veranstaltung „Brücken bauen für Antidiskriminierungsdaten – Europaweit“ auf dem Bundeskongress der NdO begann mit einem klaren Statement:

„Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten helfen einer vielfältigen Gesellschaft. Sie machen strukturelle Diskriminierung auf institutioneller, kultureller und individueller Ebene sichtbar und gibt uns die Chance dieser aktiv durch Fördermaßnahmen begegnen zu können.

Eine „Professionalisierung der Einwanderungsgesellschaft.“

Ohne Daten haben wir kein Mittel, um mit der Regierung, welche die Gesellschaft steuert, zu kommunizieren und Dinge zu verändern. Datenerhebung löst jedoch nicht alle Probleme. Konkrete Forderungen Zivilgesellschaftlicher Akteure, welche mit Daten als Grundlage handeln, sind zudem notwendig, um als positive Kraft für Vielfalt zu wirken.“

 

Migration und Messbarkeit

Vincent: Bernard, was hältst Du davon?

Bernard: Es stimmt. Leider versteht die Regierung, die de factoein steuerndes Element der Gesellschaft ist, und insbesondere die Verwaltung, nur eine Sprache: Klare Datenlage, Messbarkeit, Maßnahmen und gut dokumentierte Resultate. Wenn wir mehr Funding möchten für anti-rassistische Projekte, dann hilft nur eines: Antidiskriminierungsdaten. Aber, ganz prinzipiell: Daten sind weder gut noch schlecht, wir brauchen auch die Zivilgesellschaft, die sie interpretiert und für ihre Kämpfe nutzt.

Mit den richtigen Daten muss nicht unbedingt richtige Politik gemacht werden. Ein Beispiel: AirBnB und Co. sammeln bekanntlich Daten und treiben die Gentrifizierung voran. Arme, häufig migrantische Menschen werden verdrängt und müssen den Startup-Yuppies Platz machen.

Vincent: Ja, sowie deinen ganzen linken Freund*innen in Kreuzkölln…
Bernard: Warte: Die gleichen Plattformen könnten auch Daten sammeln und eine Art Google für den sozialen Wohnungsbau sein. Auch Antidiskriminierungsdaten bieten viele Chancen.

Vincent: Das alles ist aber auch eine Frage des politischen Klimas und momentan weht der Wind leider Richtung national-liberal und völkisch. Der deutsche Staat…

Bernard:… Here we go …

Vincent: Der deutsche Staat, insbesondere die Polizei, kann bereits auf Daten zugreifen. Denk an das Neue Polizeiaufgabengesetzes in Bayern, dem „härtesten Polizeigesetz seit 1945“.

Bernard: Stimmt.

Vincent: Die bayrische Polizei kann Menschen durch Drohnen überwachen lassen oder Smartphones und Laptops hacken, sobald von ihnen festgelegt wird, dass eine „drohende Gefahr“ besteht.

Bernard: Das ist nicht das worum es mir geht. Natürlich werden Daten auch für rassistische Zwecke missbraucht. Es geht um eine Gegenbewegung. Daten kombinieren mit Forderungen! Wie Daniel Gyamerah es gesagt hat.

Vincent: Ich bin da extrem skeptisch. Um bei dem Beispiel Polizeigesetze zu bleiben: Die bayrische Gewerkschaft der Polizei bringt es doch unfreiwillig auf den Punkt: „Otto Normalverbraucher“ wird diese Neuerung [des Polizeiaufgabengesetzes] kaum tangieren.“ Da in der deutschen Mehrheitsgesellschaft leider noch immer die Ideologie herrscht, dass „Migration gleich unnormal“ bedeutet, wissen wir bereits jetzt wen es auf jeden Fall tangieren wird: Den Omar Unnormalverbraucher.

 

1.1 Die weiße Frauenbewegung

„Wir müssen von der weißen Frauenbewegung lernen, welche mit Antidiskriminierungsdaten erfolgreich für mehr Gleichstellung kämpft.“

Vincent: Die weiße deutsch Frauenbewegung ist tatsächlich ein weiteres gutes Beispiel. Es wird erfasst und gemessen und wir wissen um die Benachteiligung von Frauen. Trotzdem: das Gender Pay Gap ist bei 21% und das Renten Pay Gap sogar bei 45%. Die Daten und Maßnahmen sind da, Sexismus bleibt. Bei Rassismus wird das nicht anders sein.

Bernard: Das Argument kannst Du im Übrigen nur aufgrund von Antidiskriminierungsdaten machen. Aber: Was möchtest Du sagen? Solange in Deutschland nicht endgültig mit dem Konsens gebrochen wird, dass es so etwas wie eine homogene, statische Nation gibt und zudem grundlegende Veränderungen passiert sind, werden Daten immer für die nationalen Reinheitspolitiken der Exekutive verwendet?

Vincent: Ja. Ich hätte es nicht besser sagen können.
Bernard: Deutschland ist längst kanakisiert. Die Gesellschaft der Vielen ist schon da. Das Sammeln von Antidiskriminierungsdaten ist eine Strategie um sie zu stärken.
Vincent: Indem wir uns frei nach dem Motto „Vermessung der Einwanderungsgesellschaft“ selbst quantifizieren und einordnen? Der Staat könnte uns (Post)migrant*innen auch einfach glauben und nicht nur den Rechten zuhören.

Bernard: Was meinst Du?

Vincent: Erinnere Dich: 6000 Nazis gehen in Chemnitz auf die Straße. Alle sprechen sofort darüber, dass den abgehängten Deutschen zugehört werden muss. Parteien rücken nach rechts außen usw. 242.000 Menschen gehen in Berlin auf die Straße, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. eine der 6 größten Demonstrationen, die es jemals in der BRD gegeben hat. Wo waren da die Reaktionen seitens der Regierung?

Der Bruch mit der Tradition des Ausmessens von Menschen, um sie symbolisch, geographisch, rechtlich und in Bezug auf Klasse an ihren Ort zu binden ist notwendig. Wenn die Migration als „Mutter aller Gesellschaften“ anerkannt wird und die Gesellschaft der Vielen von allen getragen und gestärkt wird, dann ist das genaue Erfassen, Messen, regulieren und Maßregeln von Menschen obsolet.

Bernard: Du bist also ein verkappter Anarcho. Aber gut. Heiko Maas sagte übrigens direkt nach…

Vincent: Stop! Ein Kampf der Migration ist immer auch ein Kampf gegen die bestehende, repressive nationale Ordnung. Daraus resultieren Forderungen, die auch für den Kontext eines NdO-Bundeskongress eigentlich nicht zu radikal sein sollten.

2.
Wir messen keine Menschen, sondern Rassismus

„Es gibt häufig ein Missverständnis: Es geht nicht darum „Ethnien“ o.ä. zu messen, sondern Rassismus. Die Frage ist auch: Wer hat Daten und was wird damit gemacht? Momentan sind viele Informationen nicht zugänglich und deshalb geht es auch um eine bloße Bereitstellung der vorhandenen Daten.

Auf der Grundlage genauer Informationen über Rassismus sollten Maßnahmen gegen Diskriminierung für verschiedene Communities entwickelt werden.“

Die Strategie dahinter

Bernard: Hier bringen sie es auf den Punkt: Was vermessen werden soll sind nicht Menschen, sondern Diskriminierung.

Vincent: Warum sagst Du eigentlich nie Rassismus. Der geht doch weit über Diskriminierung hinaus.
Bernard: Das Wording macht Politiker*innen und potenziellen Unterstützer*innen Angst.
Vincent: Du meinst wohl: „Wenn wir wirklich sagen wie‘s ist, dann bekommen wir kein Geld mehr…“ … Die Revolution wird nicht gesponsert.
Bernard: Das ist eine bloße Worthülse. Lass uns mal sachlich bleiben. Ich stimme Daniel Gyamerah und Lucienne Wagner zu, wenn sie in Bezug auf die Erhebung von Daten sagen: „Bekannt sind Negativbeispiele wie z.B. die menschenverachtende Diskussion um eine Obergrenze für Geflüchtete. Die andere Seite, die die Vielfalt der Gesellschaft zelebriert und sich über rhetorische Zugeständnisse hinaus auch standardisierte, messbare und zu evaluierende antidiskriminierungsrechtliche Selbstverpfichtungen auferlegt, ist jedoch recht überschaubar.“

Diskriminierung und Vielfalt sollen gemessen werden, um zu zeigen: Wir sind da, wir sind viel mehr als ihr denkt, wir gehen nicht weg und wir werden ungleich behandelt. Defizite sollen ausgeglichen werden. Das ist eine konkrete Strategie in Bezug auf das Ziel einer diskriminierungsfreien Gesellschaft, nicht nur heiße Luft und das ewige Gerede über eine irgendwie revolutionäre, beinahe mythische Bewegeung der Migration, die schon alles regeln wird.

2.1 Teamwork

„Es ist deshalb umso wichtiger, dass die Erhebung von Antidiskriminierungsdaten gemeinsam mit spezifischen Forderungen der rassismuskritischen Bewegungen erfolgt. Beispielsweise die Forderung nach Gleichstellungsberichten der Regierung ist vernünftig. Age und Gender werden erhoben. Rassismus nicht. Hier gibt es ein Ungleichgewicht.“

Vincent: Ja, ja. Kontrolle, Staat, Regulierung und dann irgendwann Freiheit.  Deine Idee ist Folgende: Wir messen Rassismus, beweisen dem deutschen Staat numerisch, dass es Rassismus gibt. Dieser entwickelt, weil er unsdann glaubt, Maßnahmen, welche dann umgesetzt werden, um unsbessere Zugänge zu schaffen in Bezug auf Arbeit, Bildung etc. und die Exekutive ein bisschen in ihrem Rassismus zu bremsen. Wenn wir mit Antidiskriminierungsdaten beweisen, dass wir gut sind, brave, intelligente, innovative, rechtschaffede Bürger*innen, dann hilft uns Deutschland? Das hat viel mehr mit Glauben zu tun als meine „mythische Migration.“ Der Glaube daran, dass irgendwann die liberale Einsicht des Staates kommen wird, dass Rassismus schlecht ist und Verwaltung etc. dann auch noch nachziehen. Es sind aber die Kämpfe, die eine progressive Entwicklung vorantreiben, nicht Präsidenten, Polizei und Gesetze. Der Staat weiß doch um die Situation in Flüchtlingslagern, Abschiebungen, das Sterben im Mittelmeer etc. Das Resultat ist aber Ankerzentren und Nafris, nicht Visa-Gerechtigkeit und Zugang zu Staatsbürgerrechten.

Bernard: Ja, aber Kämpfe haben viele Gesichter. Antagonistischer Reformismus sollte eigentlich gerade Dir etwas sagen…

Vincent: Pah! Dir gehen die Argumente aus.

3.
Wir brauchen Beweise

„Es werden bereits viele Daten gesammelt, nur die falschen. Wenn die Polizei in Schweden rassistische Polizeikontrollen durchführt, dann geschieht das auch aufgrund der falschen Datenlage: Schwarz ist gleich kriminell. Es geht auch darum mit Daten „zu beweisen“, dass bspw. Schwarze Menschen als aktive, positive Kräfte in der Gesellschaft wirken und trotzdem Bürger*innen zweiter Klasse sind. Bisher gibt es auch für Aktivist*innen keine argumentative Grundlage. Leider ist es noch immer so, dass Schwedens Polizei bspw. Racial Profiling leugne, da der Mangel an Daten dessen nicht-existenz beweise.

In Bezug auf Migrant*innen ist es bspw. in Schweden so: je höher die Ausbildung, desto drastischer auch das Pay-Gap. Nur eine gründliche, datenbezogene Analyse dieser rassistischen Situation kann hier eine Grundlage für Aktivist*innen darstellen.“

 

One More Thing:

Toni Morrisson: „[Racism] keeps you from doing your work. It keeps you explaining over and over again, your reason for being. Somebody says you have no language and so you spend 20 years proving that you do. Somebody says your head isn’t shaped properly so you have scientists working on the fact that it is. Somebody says that you have no art so you dredge that up. Somebody says that you have no kingdoms and so you dredge that up. None of that is necessary. There will always be one more thing.

Vincent: Und sie geht noch weiter: „You don’t waste your energy fighting the fever; you must only fight the disease.“ Es ist problematisch Rassismus mit einer Krankheit zu vergleichen. Dennoch: Wir können unsere wertvolle Energie darauf verwenden bestehende Institutionen zu verschönern und den Umgang zu verbessern. Solange wir in einer Welt der In- und Ausländer, der Legalen und Illegalen Menschen leben, bekämpfen wir so aber nur „das Fieber.“

Bernard: 

 

4.
Über 100 Jahre rassistische Datensammlung in Deutschland

Die Vertreterin des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma war die einzige Person auf der Bühne die Bedenken in Bezug auf das Sammeln von Daten äußerte:

„Aus mehr als verständlichen historischen Gründen, ist insbesondere die jüdische und die Sinti und Roma Community häufig gegen das Sammeln von Daten. Deutschland hat eine über 100jährige Geschichte rassistischer Datensammlung. Diese regulierte bspw. Deportation, Holocaust, Zwangssterilisierung und Nicht-Entschädigung der Überlebenden.

Beispielsweise in der NS-Zeit wurden sehr viele Daten aufgrund von „Rasse“, Herkunft etc. gesammelt, die Resultate sind bekannt. Insbesondere die fatale Übereinkunft von Polizei und personengruppenbezogener Daten sind besorgniserregend. Es fällt als besorgniserregend auf, dass die (bekanntlich mit Faschisten im Schulterschluss stehende [A.d.V.]) AfD Sachsen sowie Salvini in Italien den Vorschlag eingereicht haben wieder gründlicher Daten über Sinti und Roma zu sammeln. Daten sind in Europa immer auch antiziganistisch, antisemitisch und rassistisch geprägt.“

(K)ein Ende

Bild 1: janholmquist CC

Bild 2: neuedeutsche.org