Vom 1.-2. Februar 2019 fand der 4. Bundeskongress der Neuen Deutschen Organisationen in Berlin statt. Die NDO sind ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Vereinen, Organisationen und Projekten. Seit 2015 setzen sie sich als Interessenvertretung aller von Rassismus betroffenen Personen in Deutschland „für mehr Sichtbarkeit, Teilhabe und Chancengerechtigkeit“ ein.  Nachdem mit der Sarrazin Debatte 2010 und den Großdemonstrationen von PEGIDA ab 2014 Rassismus in Deutschland wieder salonfähig und mobilisierungsstark wurde, wollten die NDO „der Spaltung der Gesellschaft“ etwas entgegensetzen. Kurz gesagt heißt es auf der Homepage:

Wir sehen uns als postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland.

 

Vibrationshintergrund

 

Menschen mit „Vibrationshintergrund“ oder „Migrationsvordergrund“ – wie die NDO vorschlagen – sollen in allen Institutionen und Strukturen präsenter sein, ihr gesellschaftliches Engagement gefördert werden, und schon in der Schule sollen alle für das Leben in einer Einwanderungsgesellschaft sensibilisiert und Migrationsgeschichte Teil des Unterrichts werden. Die Idee ist klar: Deutschland ist ein Einwanderungsland und migrantische Themen, Strukturen und Personen sollen vor diesem Hintergrund in allen Teilen der Gesellschaft vertreten sein. Damit kann das Narrativ, was Deutschland sei, an die postmigrantische Realität angepasst werden. Dieser Spagat zwischen Transformation und Mainstreaming durchzieht die NDO seit Beginn an und spiegelte sich auch im Programm ihres vierten Bundeskongresses wieder. In den Veranstaltungen ging es um „Diskriminierungsschutz im Bildungsbereich“, die „Dekolonisierung von Museen“, „Förderpolitik“ von Migrant*innen Organisationen und die Sammlung von „Antidiskriminierungsdaten“.

 

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Thelma Buabeng bei der Eröffnung des 4. Bundeskongresses der NDO

 

Die NDO führen einen absolut überfälligen und bewundernswerten Kampf! Und das auch noch auf sympathische Weise. Nach Kaffee und Brezeln eröffnete die Schauspielerin Thelma Buabeng Freitagvormittag den Kongress mit einer kleinen Tanzsession zu Ghanaischer Musik und brachte erst mal Schwung in den noch etwas müden Haufen von älteren Gastarbeiter*innen, Vertreter*innen der Interessen von Schwarzen Menschen in Deutschland, hippen antirassistischen Blogger*innen, syrischen Refugees, etwas eingestaubten Profs und bierernsten Journalist*innen. Dann stellten sich die NDO in einem selbstgedrehten Video vor versammeltem Publikum vor. Man hätte ein Image-Video in professionellem Fernseh Make-up erwarten können. Stattdessen aber lernte das Publikum in einem eher amateurhaft wirkenden Handyvideo eine Handvoll junger Hauptamtliche in ihren Berliner Räumen kennen, die selbstironisch teilweise selbst gar nicht die Worte fanden, wofür sich die NDO denn nun einsetzten und warum. Das wirkte keinesfalls unprofessionell, sondern charmant. Und das Video hinterließ seine Message deutlich: Es ist ja wohl selbstverständlich, warum man sich in Deutschland gegen Rassismus einsetzt; und – das kann sogar Spaß machen! Viel Lachen und Lächeln hatten die Gastgeber*innen auf ihrer Seite. Auch meines!

 

Unsere Heimat Deutschland?

 

Als es dann mit einem Grußwort von Sun-ju Choi von Korientation e.V. inhaltlich losging, wurden aber auch die Schwierigkeiten migrantischer Interventionen sichtbar und mein Lächeln wurde nachdenklicher. In ihren einleitenden Worten forderte sie, dass wir den Begriff „Heimat“ nicht aus der Hand geben, sondern ihn vielmehr für uns zurückerobern sollten. Natürlich neu besetzt: Inklusiv! Ein Deutschland für Alle. Als die Debatten starteten, erhob sich aus dem Publikum eine Frau in Uniform. Sie ist vom Deutscher Soldat e.V., einer Interessensvertretung von Soldaten of Color und/oder Migrationshintergrund in der Bundeswehr. Ihr schließt sich eine Frau aus Bayern an. Beide berichten von rassistischer Gewalt, die sie erfahren hätten und dass sie noch immer nicht selbstverständlich als Deutsche wahrgenommen und aufgrund ihres Aussehens nicht als Teil dieser Gesellschaft akzeptiert würden. Auch sie seien Deutsche und wollen dazugehören. Verständlich, wichtig und überfällig. Auch der aktuelle, von Ferda Ataman angestoßene, #vonhier zeigt noch einmal, wie selbstverständlich Menschen aufgrund ihres Namens oder Aussehens in Deutschland immer noch alltäglich ausgeschlossen werden. Wann begreifen die Leute endlich, dass wir #vonhier sind? Dass wir zunächst einmal um Anerkennung ringen müssen, in einem Land, dessen rassistische Geschichte noch vielen tief in den Gliedern sitzt, ist verständlich und sicherlich ein wichtiges Anliegen. Aber einfach ein Teil Deutschlands sein, als unsere Heimat? Kann das alles sein?

So stellen sich für mich nach der gemeinsamen Plenumsdebatte zum Auftakt des Bundeskongresses viele Fragen:

Was wäre das denn für ein Deutschland, das wir als Heimat verstehen können (und für das wir kämpfen könnten)?

Und was verändert sich, wenn wir ein selbstverständlicher Teil davon werden? Sollten wir uns nicht auch fragen: Von wem und was wollen wir da eigentlich Anerkennung? Statt dass wir alle in Deutschland integriert werden, sollten wir nicht darüber beratschlagen, wie dieses Deutschland selbst grundlegend zu hinterfragen und zu verändern wäre?

 

Transformation statt Inklusion!

 

Was im letzten Jahr auf dem NDO-Kongress noch deutlich zu spüren war, fehlte mir in diesem Jahr etwas. Wenn wir in einem Deutschland leben möchten, dass keine migrantische Arbeitskraft ausbeutet, sich nicht an imperialistischen Kriegen gegen den globalen Süden engagiert und an seinen Grenzen keine flüchtenden Menschen sterben lässt, dann kann dazugehören nicht alles sein. Sondern es muss immer um beides gehen: Inklusion und Transformation! Und zukunftsweisende Fragen einer postmigrantischen Gesellschaft der Vielen werden gegenwärtig stark in sozialen Bewegungen gestellt und diskutiert.

Auf unserem Bundeskongress, dessen Mehrwert es ja gerade ist, dass ganz unterschiedliche Menschen und Initiativen gegen Rassismus hier zusammenkommen, habe ich Veranstaltungspunkte von und über antirassistische soziale Bewegungen in Deutschland vermisst. Vor allem nach einem Jahr, in dem #unteilbar eine Viertelmillion Menschen gegen Rassismus zu einer Großdemo in Berlin auf die Straße bringen konnte, die Seebrücke Bewegung Hunderttausende gegen die Europäische Abschottungspolitik mobilisiert hat und organisierte Refugee-Gruppen 35.000 Menschen zu der Welcome United Parade nach Hamburg mobilisierten. Mir fehlten die Betroffenen des NSU-Komplex, die Angegriffenen von Chemnitz, die Aktivist*innen der Geflüchtetenkämpfe. Diese Leerstelle in der Ausrichtung des Bundeskongresses spiegelte sich dementsprechend natürlich auch in den Debatten wieder. Ich hoffe, dass diese Stimmen in der Vielfalt unserer Organisationen beim nächsten NDO Kongress wieder hörbarer und auch im Programm präsenter sein werden. Ich denke, genau dann kann sich Inklusion mit Transformation verbinden.

 

#vonhier AUS in die schöne neue welt

 

Wir sind #vonhier. Punkt. Aber dieses ‚hier‘ muss sich ändern, wenn wir gerne dazugehören wollen. Natürlich sind wir ein Teil von Deutschland und das muss sich auch institutionell durch unsere Teilhabe widerspiegeln. Inklusion ist sicher der erste Schritt zur Transformation. Aber nicht der letzte. Anknüpfend an die gegenwärtigen Kämpfe der Migration, würde ich mir für unseren nächsten Bundeskongress wünschen, dass wir wie bisher noch radikaler träumen. Vielleicht könnte der nächste Kongress nach „Inklusiv 4.0“ (2018) und „Netzwerk inklusiv“ (2019) ja

Deutschland adé! TRANCEformation

oder so heißen. Nur so ein Vorschlag! In jedem Fall ist bloß dazugehören nicht alles. Aber beim Bundeskongress dabei sein war definitiv schön! Lasst uns so weiter machen! Und gerne noch weit darüber hinaus!

 

Bilder: © privat