Ein Beitrag von Vincent B. Bababoutilabo

Schwarze Politik

SchwaPo 

Dies ist ein hoffentlich interessanter, provokanter Brief. Mit ihm sollen Denkanstöße gegeben werden bezüglich der immer wieder zu Recht aufkommenden Fragen: Was ist Schwarz? Wer ist Schwarz? Was bedeutet Schwarzer Antirassismus?

Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung von und die politisch korrekte Bezeichnung für Schwarze Menschen, so zumindest viele der gängigen Definitionen. „People of Color“ (PoC) dahingegen eine allgemeinere Selbstbezeichnung für Menschen, die in einer Gesellschaft als nicht-weiß angesehen werden. Diese Begriffskombination „PoC“ schließt Schwarze Menschen zwar mit ein, ist aber nicht gleichbedeutend mit Schwarz.

Wer und was ist also Schwarz? Im aktuellen Stand der Debatte sind die wichtigsten Marker für die Kategorie Schwarz die gemeinsamen traumatischen Erfahrungen, die ihre Wurzeln in der Geschichte des Kolonialismus und der Versklavung haben. Übertragen würden diese auch innerhalb von Familien beispielsweise von Großmutter zu Enkelkind, auch wenn letzteres eine helle Haut und blonde Haare hat. Schwarz sei also, so wie Traumata auch, vererbbar. In diesem Verständnis handelt es sich, provokant gesagt, um eine One-Drop-Rule der Traumata.

Im nun folgenden Text soll von mir eine etwas andere Haltung dargestellt werden, denn ja, Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung, aber nicht zwangsläufig vererbbar. Das Politische der Selbstbezeichnung wird leider häufig nicht wirklich ernst genommen. Schon der südafrikanische Freiheitskämpfer Steve Biko schrieb, dass Schwarz diejenigen Menschen sind, welche von Rassismus betroffen sind und eine spezifische politische Haltung einnehmen, was selbstverständlich auch das erwähnte Enkelkind einschließen kann. An dieser Stelle soll der Text ansetzen, vorpreschen und ein paar politische Schwarze Grundlagen für den hiesigen Kontext behaupten. Was ist die politische Haltung, die hinter Schwarz steckt?

 

Schwarz ist die Negation der Verwertung und Verdinglichung von Menschen

Schwarz ist die Negation von weiß, jedoch steht weiß für mehr als die Positionierung von Personen. Es steht für eine gewisse Logik der Kategorisierung, Hierarchisierung und Ausbeutung von Menschen, für ein rassistisches System, welches u.a. von weißer Vorherrschaft geprägt ist. Am unteren Ende dieses Systems steht als unterdrücktes, geschlagenes und gedemütigtes, eine konstruierte Kategorie. Es handelt sich hierbei um den N****. Wichtig hierbei ist, dass diese nicht etwa etwas mit tatsächlichen Dispositionen oder Eigenschaften von Menschen zu tun hat, sondern ganz im Wahn des rassistischen, kolonialen, imperialen Kapitalismus des Westens entstand. Diese Figur des Menschen, der zur Ware wird, bloßes Ding, Handelsobjekt und Kapitalquelle, gekauftes, verkauftes, getauschtes Eigentum, ist wichtig für die Schwarze Haltung. Die okzidentale Logik des N****, und somit auch der transatlantische Handel mit versklavten Menschen, ist das Taufbecken der kapitalistischen Moderne und untrennbar von ihrer Geschichte. Dies wussten die Maroons in Jamaika, die revolutionären Haitis und viele weitere radikale Schwarze Bewegungen, denn ihr Kampf wendete sich gegen diese Logik der Verdinglichung und gegen die Ausbeutung von Menschen. Die Logik des N****  hat primär also nichts mit uns zu tun, sondern steht für eines der wichtigsten, grausamsten Elemente rassistischer, kolonialer, ökonomischer Ausbeutung: Das zur-Ware-machen von Menschen.

Das Erbe der radikalen Schwarzen Traditionen, welche erfolgreich wie keine anderen Bewegungen den Kampf gegen die Verdinglichung führten/führen und aus der beschriebenen Logik heraustraten, macht uns deutlich, dass Rassismus, Ausbeutung und Kolonialismus nicht mit dem Aufstieg einiger weniger im System der ewig Gleichen besiegt werden kann.

Schwarz ist gegen die Verdinglichung von Menschen und steht für einen Systemwechsel.

 

Schwarz ist global

Heute, in Zeiten des globalen Finanzkapitalismus und Neoliberalismus, in denen Europa nicht mehr das einzige Zentrum ist, sondern sich neben anderen Machthochburgen immer mehr provinzialisiert, fürchtet der postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe nicht zu Unrecht, dass die Welt „zum N****“ wird.

Die Möglichkeit Verhältnisse umzuwälzen und Ausbeutung zu bekämpfen, indem mensch sich des Nationalstaats als Werkzeug bedient, ist mit Blick auf die heutigen Verhältnisse der globalisierten und transnationalen Welt nicht mehr möglich. Demnach  ist die klassische Vorstellung der Schwarzen Gegenmacht, der Black Nation als gesamtgesellschaftliche Perspektive, nicht mehr denkbar. Nein, unter heutigen Machtverhältnissen ist der Nationalstaat keine Lösungsperspektive. Er wird, insbesondere hierzulande immer wieder mit dem für ihn typischen Rassismus, gefährlich.

Schwarz erkennt die dringende Notwendigkeit weltweiter, egalitärer Strukturen. Die nationalen Grenzen, als Materialität des Rassismus, halten geografische Strukturen der Armut und Ausbeutung aufrecht. Globale Konzerne sowie Netzwerke der Produktion und Zirkulation von Waren haben zudem die Souveränität der Nationalstaaten untergraben. Mit ihrer immensen Marktmacht gestalten sie den Weltmarkt und greifen global tief in das Lokale ein. Die neoliberalen Vereinnahmungen sozialer Kämpfe, Schwarzer, feministischer, queerer Gegenkultur, werden hierbei zur Fassade eines im Innern längst brennenden Gebäudes. Alles soll zur Ware gemacht werden, selbst der Widerstand. Wir kommunizieren mit Geld und kaufen uns unser Ticket zum Empowerment, unser Album der Befreiung, Feminismus als Trainingsanzug. Beyoncé und Kendrick befreien uns in der Mercedes Benz Arena für schlappe 74€. Cool.

Die Verdammten unserer Zeit sind jedoch die, die der rassistische, patriarchale Kapitalismus eben nicht zeigen will, die an den Rand Gedrängten, die Entrechteten, die Feldarbeiter*innen auf spanischen Plantagen, die Spargelstecher*innen, die Illegalisierten, Menschen auf der Flucht, die Menschen, die Häuser bauen, Wein ernten, Pakete verschicken, Bürokomplexe putzen, Betonmischer fahren, Straßen bauen und Drogen verticken. Hier setzt Schwarz an, setzt auf transnationale Solidarität und fordert nicht mehr Rechte für die einen, sondern gleiche Rechte für alle. Egal wo, woher oder wohin.

Schwarz bedeutet Migration als Menschenrecht. Schwarz steht für weltweite Bewegungsfreiheit und ein Recht auf Rechte für alle Menschen.

 

Schwarz in Europa und der afrikanische Kontinent

Afrikanisch deutet auf Herkunft hin, genauso wie die moderne Begriffskombination „PAD“ (Person of African Descent). Afrika ist das Fenster in die Zukunft, so beschreibt es Achille Mbembe. Ja, Afrika gehört die Zukunft, denn was ist Europa in 50 Jahren? Ein ganzer Kontinent voller alter Menschen, vermutlich noch immer überzeugt von national-konservativen Ideen, Reinheits- sowie Volksglaube und schlichtweg peinlich provinziell.

Afrika mit einer Schwarzen Perspektive von Europa aus ernst zu nehmen, heißt jedoch trotzdem nicht einfach den Kontinent undifferenziert zum Paradies der eigenen, individuellen Identität zu machen. Vielmehr geht es darum, die verschiedenen sozialen und ökonomischen Kämpfe zu unterstützen, die dort stattfinden. In der Schwarzen Diaspora werden häufig Zusammenhänge vereinfacht und Kämpfe und Konflikte unsichtbar gemacht, um Kohärenz zu schaffen. Afrika als eigentliche Heimat, als Ressort für Hoffnungen und Träume. Doch ein klarer Ort, ein festes Territorium ohne Widersprüche mit einem homogenen Innen ist oft Ausdruck eines westlich-nationalistischen Bedürfnisses.

Wir halten dagegen, dass der Staat und mit ihm zahlreiche Unterdrückungsverhältnisse vielerorts das bittere Erbe des Kolonialismus und gleichzeitig nationalistischer antikolonialer Befreiung ist. Wir wissen auch, dass Schwarze Träume unabhängig vom Ort wirken und die Welt verändern können.

In aller Kürze: Äthiopien ist kein tatsächliches anti-babylonisches Paradies, denn dort werden die  Oromo unterdrückt. Mansa Musa war zwar der reichste Mensch der Welt, aber das wurde er sicher nicht, weil er gleichen Reichtum für alle gefordert hätte.

Schwarz als Perspektive nimmt nicht Königin Nzinga als Ausgangspunkt, sondern ihren Diener, auf dem sie saß.

Schwarz kämpft für das Beenden von Enteignung und Ausbeutung des globalen Südens durch sogenannte Global Player, Rückgabe von kolonialen Raubgütern, ein Stop der menschenverachtenden Migrationspolitik, kurz, lückenlose Dekolonisierung.

 

Rassismus ist eine panische Maschine

Rassismus ist nicht allmächtig, sondern eine panische Maschine, die Angst vor der Schwarzen Macht hat. Wir haben die Macht, deshalb zwingen wir rassistische Strukturen zur ständigen Veränderung, zu Eingeständnissen und Niederlagen. Solidarischen Widerstand hat es schon immer gegeben und er ist verantwortlich für zahlreiche Risse im – und Veränderungen des Rassismus. Nicht Lincoln hat die Sklaverei in den USA abgeschafft, sondern alle die unzähligen Menschen die Zeit ihres Lebens dagegen gekämpft haben. Nicht Dänemark, England oder Spanien erwirkten zuerst das Verbot der Sklaverei, sondern all die Menschen, die für die Haitianische Revolution kämpften. Die Apartheid wurde nicht von einer Regierung abgeschafft, sondern von jahrelangem Befreiungskampf.

Schwarz ist die Einsicht, dass die Kämpfe der versklavten, illegalisierten, ausgebeuteten, migrantisierten, minorisierten, sexualisierten, enteigneten und rassifizierten Menschen sowie allen, die mit ihnen solidarisch verbunden sind, unsere Geschichte vorantreiben. Nicht aber Gesetzgebungen, Lobbyisten oder gewählte Präsident*innen.

 

Schwarz sind die Kämpfe der Migration

Mit Blick auf die hiesige Gesellschaft zeigt sich, dass das Verhältnis Schwarz gegen weiß, wie wir es u.a. aus den USA kennen, im Kontext von Germany nicht genau passt und vielmehr hier zu einem Kampf der Migration wird. Migration vs. Nation. Die Migration durchbricht die typisch deutsche, ideologische Einheit Staat-Staatsvolk–Staatsterritorium und zeigt die Widersprüche und Grenzen nationalstaatlicher Maximen auf. An einer anderen Stelle sollte herausgearbeitet werden, inwiefern die Kanakisierung von Menschen auch ein Aspekt der Logik des N**** ist.

Schwarz ist ein Kampf der Migration, die Negation von weiß und somit von Rassismus, Ausbeutung und Nationalismus.

 

Schwarz bedeutet Solidarität statt Identität

Die radikale Schwarze Bewegung schießt bewusst über Identitäten hinaus, trotz des rassistischen, bürgerlichen Kategorisierungswahns. Die Schwarzen Bewegungen in den USA, nahmen Schwarz als Ausgangspunkt und luden alle Verdammten dieser Erde, egal welcher Couleur, dazu ein, die Schwarze Nation gemeinsam zu kreieren. Solidarität war eines ihrer bedeutendsten Themen, denn sie wussten, dass ein Aktivismus, der sich nur um Abgrenzung dreht, schnell reaktionär wird. Rassistischer, sexistischer Kapitalismus braucht Ungleichheit, braucht Abgrenzung, Kategorisierung und Quantifizierung von Menschen. Wir stellen uns dagegen.

Warum nannten sich Gruppen von türkischen und kurdischen Jugendlichen, welche sich in den 90ern in Berlin organisierten und Nazi-Terror abwehrten „Black Panther“? Weil die radikalen Schwarzen Bewegungen eine Perspektive angeboten haben, welche alle ausgebeuteten, unterdrückten Menschen einnehmen können. Deshalb waren sie so gefährlich, deshalb wurden sie systematisch vernichtet, deshalb leben sie im Aktivismus vieler Menschen weiter. In den radikalen Schwarzen Traditionen stecken die Antithesen zu den Widersprüchen der gegenwärtigen Verhältnisse. Es wird Zeit, ihnen Gehör zu verschaffen.

Schwarz ist kein Zustand, sondern eine Bewegung und ein Aufruf: Lasst uns gemeinsam einen Schwarzen Planeten schaffen. Solidarität ist unsere gefährlichste Waffe!

 

SchwaPo (Schwarze Politik) ist eine AG des ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland)-Bund e.V. Wir treffen uns monatlich, um diverse politische Positionen zu beleuchten, gemeinsam Texte zu erarbeiten, Kampagnen zu planen und vieles mehr. Dieser Text ist meine Zusammenfassung von Aspekten, welche ich bezüglich einer Diskussion um Schwarze Politik für wichtig halte.

 

 

Meine Tipps zur Vertiefung der Diskussion:

Achille Mbembe: Critique de la raison Nègre, La Découverte, Paris, 2015

Angela Davis: Freiheit ist ein ständiger Kampf, Unrast, Münster, 2018

Antonio Negri, Michael Hardt: Empire, Harvard University Press, Cambridge, Messachusetts, 2000

Manuela Bojadzijev: Die windige Internationale – Rassismus und Kämpfe der Migration, Westfälisches Dampfboot, Münster, 2012

Ta-Nehisi Coates: Between the World and Me, Spiegel and Grau, New York, 2015

Cedric J. Robinson: Black Marxism, The University of North Carolina Press, London, 2000