Die Erziehung zum Widerstand
Die Erziehung zum Widerstand

 

Die Idee zu diesem Text entstand im Anschluss an einen Workshop von Aretha Schwarzbach-Apithy mit dem Titel „Weiße Erziehung, Angst und wir“ auf der in*vision – seminar und festival 2017, der bei mir nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Viele hier angesprochenen Gedanken und Inhalte wurden in diesem Workshop von der Gruppe aufgebracht und diskutiert. Aretha Schwarzbach-Apithy ist gelernte Erzieherin, als Aktivistin und Trainerin in der Black Community aktiv; in ihrer Doktorarbeit analysiert sie die bürgerliche Erziehung als weiße Erziehung

Prägende Kindheitserinnerungen

Die frühen Jahre prägen uns für den Rest unseres Lebens. Die Erziehung und Bildung, die wir in dieser Zeit erfahren, spielen eine große Rolle in unserer Entwicklung. Wie unsere Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten und die Leute in Kindergarten, Hort und Schule mit uns umgeben, hat einen nachhaltigen Einfluss. Oft passieren in dieser Zeit Dinge, an denen wir noch Jahre danach zu knabbern haben. Die Beziehungen zu unseren Familienmitgliedern sind, obwohl wir lieben und tiefes Vertrauen verspüren, häufig nicht einfach und mit vielen Verletzungen verbunden.

Ich beziehe mich hier unter anderem auf persönliche Erfahrung aus Kind- und Schulzeit als türkisches deutsches Kind in Deutschland mit einem weißen deutschen Elternteil. Daneben sind auch viele Erfahrungen von Schwarzen/of Color (BPOC, Black and People of Color)  Freund*innen mit eingeflossen. Ich schreibe diesen Text aus einer cis-männlichen of Color-Perspektive.

Weiße Gesellschaft – weiße Erziehung

Wie Erziehung und Bildung gestaltet werden, ist immer von der Gesellschaft beeinflusst. In einer Gesellschaft wie in Deutschland sind sie durch die herrschende weiße Norm geprägt. Aber was macht eine Erziehung eigentlich weiß? Genau diese Norm des weißseins, die sich auch in der Erziehung widerspiegelt. Schließlich ist das gesellschaftliche Leben an ihr ausgerichtet.

Darüber hinaus werden Erziehung und Bildung hauptsächlich von Weißen ausgeübt und organisiert. Sie sind häufiger Erzieher*innen oder Lehrer*innen. Sie schreiben mehr Ratgeber über Erziehung, bestimmen die Rahmenpläne der Schulen und setzen die zu lernenden Inhalte fest. Neben der weißen Norm entsteht so eine Dominanz weißer Perspektiven auf Erziehung

Was richtet weiße Erziehung an?

Es handelt sich bei weißer Erziehung nicht um eine offizielle Agenda, die beispielsweise vom Staat vorgegeben wird. Vielmehr führt gesellschaftlicher, struktureller und von Menschen verinnerlichter Rassismus dazu dass Kinder im Rahmen ihrer Erziehung und Bildung Ausgrenzungserfahrungen machen. Ein konkretes Beispiel zum Beispiel ist das penetrante Fragen nach der Herkunft: „Wo kommst du eigentlich her?“. So verinnerlichen Kinder, dass ihre eigene Antwort (zum Beispiel „Aus Berlin.“) nicht ausreicht, sondern etwas anderes dahinter stecken muss. Darüber hinaus wird das Gefühl des Nicht-Dazugehörens massiv verstärkt – gemeint ist mit der Frage halt auch immer: „Du kommst nicht von hier“. (Die besten Antworten auf die Frage habe ich bei Mutlu Ergün-Hamaz in „Kara Günlük – Die Tagebücher des Sesperado“ ganz am Anfang gefunden.)

Diese Norm und Dominanz führen zB. dazu, dass manche Kinder ihre Haare an Kopf und Körper als hässlich empfinden, ihre Haut hassen und sich weiß waschen wollen, und mit ihren Körpern generell unglücklich sind. Oder dazu, dass der eigene Name als störend und komisch empfunden wird, weil er ständig falsch ausgesprochen oder als ungewöhnlich bezeichnet wird. Oder dazu, dass sie verinnerlichen in der Schule einfach schlechter zu sein als andere und dass ihre Erfahrungen generell weniger relevant sind als die weißer Kinder. Durch die weiße Norm, die unbenannt bleibt, haben sie von früh an das Gefühl, nicht „normal“ zu sein. Aus dem Wunsch heraus, dazuzugehören (was nur als weißes Kind möglich zu sein scheint) entsteht dann eine Abneigung gegen sich selbst. Ein Beispiel für die Auswirkungen dieser Norm ist der Dolltest, der in den 1940ern in den USA durchgeführt wurde und seitdem öfters nachgeahmt wurde, zB. in Italien „The Doll Test„. Dieses von BPOC Kindern und Jugendlichen erlernte Minderwertigkeitsgefühl wieder zu verlernen erfordert viel Zeit und Arbeit.

ein weißer Elternteil, ein BPoC Elternteil

Auf eine eigene Art und Weise kompliziert mit der Erziehung wird es, wenn bei zwei Eltern ein Elternteil weiß ist. In diesem Fall stellt auch das eigene Zuhause nicht unbedingt einen Raum dar, in dem die eigenen Rassismuserfahrungen (relativ) sicher thematisiert werden können. Andererseits gibt es einen Elternteil, der aus den eigenen Erfahrungen schöpfen und bestimmte Themen auf den Tisch bringen könnte.

Wenn der weiße Elternteil dem anderen zum Beispiel wiederholt eine „orientalische Kommunikationsweise“ unterstellt, oder dir als Kind empfiehlt bestimmte Vitamin-Tabletten zu nehmen weil „Südländer“ ja mehr Sonnenlicht bräuchten als Almans, führt das nicht zu einer sicheren Atmosphäre. Solche Verhältnisse haben dazu geführt dass ich das Thema irgendwann nicht mehr gerne angesprochen habe, wenn alle zusammen waren. Ich erinnere mich an spätere Situationen wo zuhause von uns Kindern Rassismuserfahrungen mit dem einen Elternteil geteilt wurden und wir um Ratschläge gebeten haben – sobald der andere Elternteil dazu kam, wechselten wir wie von selbst das Thema.

Nicht dass 2 BPOC Eltern per se in der Lage sind, die Verletzungen ihrer Kinder gut aufzufangen und ihnen ein gewisses Wissen über Rassismus mit auf den Weg zu geben. Aber im Zweifel können Sie sich in diesem verhältnismäßig sicheren Umfeld (zumindest was Rassismus betrifft) aufgrund persönlicher Erfahrungen auf die Erlebnisse ihrer Kinder beziehen und eine Verbindung herstellen. Wenn beide Eltern weiß sind, kann es dagegen zum Beispiel dazu kommen, dass das Thema überhaupt nicht angesprochen wird, weil die Eltern es nicht auf dem Schirm haben, weil sie damit absolut überfordert sind oder auch weil sie glauben ihr Kind so beschützen zu können.

Zurück zum hier gewählten Beispiel: Das Erleben von Rassismus im eigenen kern-familiären Kontext durch einen weißen Elternteil birgt aufgrund der engen persönlichen Vertrautheit wesentlich höheres Verletzungspotential. Wenn Rassismus sogar als Vorgang zwischen den eigenen Eltern erlebt wird, kann er noch stärker als normal empfunden werden – schließlich sind es für die Mehrheit aller Kinder die eigenen Eltern, an denen wir uns in unseren frühen Lebensjahren stark orientieren. Das bedeutet, dass Kinder die Existenz von Rassismus unablässig vor Augen geführt bekommen, und deshalb vielleicht nicht auf die Idee kommen, Normen in Frage zu stellen.

 

Elterliche Verantwortung

Zur Frage, wie Eltern ihren Kindern durch eine ‚empowernde‘ Erziehung Rückhalt geben können, wurde bereits einiges geschrieben, zum Beispiel von Nkechi Madubuko im Buch „Empowerment als Erziehungsaufgabe“. Wichtig ist mir an dieser Stelle vor allem der Hinweis, dass es mit elterlicher Schweigsamkeit nicht getan ist. Das Thema nicht anzusprechen, zB. in der Hoffnung dass es die eigenen Kinder schon nicht betreffen werde oder um sie vor der „bitteren Wahrheit“ zu schützen, hilft nicht weiter. Am Ende des Tages erfahren Kinder oder Jugendliche, was ihnen geschieht. Es ist keine schöne Erfahrung, sich das Wissen zum Verständnis der eigenen Schmerzen und Verletzungen selbst aneignen zu müssen, nur um dann zu erfahren dass Eltern oder andere Bezugspersonen dieses Wissen hätten weitergeben können. Die Verantwortung muss nicht so weit gehen, Kindern alles zu erklären. Hier bietet sich zum Beispiel an, BPOC Freund*innen anzusprechen und sie darum zu bitten Rassismuserfahrungen zu besprechen. So können Eltern auch ihre Scheu umgehen, den eigenen Kindern schmerzhafte Realitäten und „bittere Wahrheiten“ zu erklären.

 

Welche Folgen dieses Nicht-Thematisieren haben kann und welche Umgangsmöglichkeiten ich damit gefunden habe, beschreibe ich in einem zweiten Teil zu diesem Beitrag.

 

Bild: Christan Mayrhofer CC


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