Romane über Menschen mit türkischem Migrationshintergrund gibt es viele. Meistens geht es um Terrorismus oder um unterdrückte Frauen. Die Protagonistin Hazal in „Ellbogen“ ist nicht so ein „Opfer“. Fatma Aydemirs Debütroman „Ellbogen“ ist voll mit Mikroaggressionen, die verdeutlichen, dass der Migrationshintergrund allein, der so oft so vordergründig ist, keine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ liefert. Vielmehr sind es die Ellbogen (hier Zitat), die die Identität Hazals und ihrer Freundinnen ausmacht:
[…] Wegen der Ellbogen, die uns das Leben reingerammt hat, immer wieder, und immer noch. Überall nur Ellbogen von denen, die stärker sind als wir.
Die Ellbogen, die sie bekommt, weil sie kein Junge ist, keine Deutsche ohne Migrationshintergrund und keine Akademikerin wie ihre Tante. Die alltägliche Aggressionen kulminieren und entladen sich am Stereotyp des Privilegierten: der deutsche Student auf der U6. Ellbogen ist eine Hommage an die Weddingerinnen und gibt mit authentischer Sprache die Gefühls- und Gedankenwelt jener wieder, die i.d.R. Lesen nicht zu ihren Hobbys zählen. An einigen Stellen, vor allem im zweiten Teil, ist das Tempo schnell, jedoch entspricht es dadurch auch Hazals impulsiven Denken und Fühlen. Alle, die lesen um sich in einem Buch wiederzuentdecken und verstanden zu fühlen, aber auch alle, die den Anderen verstehen möchten, werden Hazal kennenlernen wollen.
Fatma Aydemir: Ellbogen. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2017. 272 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro
Bild (Beitrag): Fatma Aydemir, Ellbogen © 2017 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München