Gemälde eines Harems von Quintana Blas Olleras (1851-1919)
Gemälde eines Harems von Quintana Blas Olleras (1851-1919)

 

Sobald du dann deinen Harem in Istanbul hast, kommen wir ab und zu vorbei und unsere Probleme sind gelöst.

 

Ich konnte, als der Satz gesagt wurde, nicht wirklich auf ihn eingehen. Zu viel war daran problematisch – das konnte ich zu der Zeit auch ohne ausführliche Auseinandersetzung mit Büchern und Theorien erkennen. Ich glaube, ich war in dem Moment einfach zu überrumpelt und habe es dann weggelächelt. Bloß keine anstrengende Diskussion anfangen, um am Ende nicht (wieder) als zu empfindlich zu gelten.

Kurz zu mir und meiner Familiengeschichte: Mein Vater ist in der Türkei geboren und als Kind nach Deutschland gekommen. Ich spreche die Sprache mittlerweile fließend und habe mehrmals etwas länger in der Türkei gelebt. Manche nennen das „Mitbürger mit Migrationshintergrund“ (MiMiMi) oder Deutschtürke. Die beiden Begriffe finde ich unpassend und benutze sie nicht. Ich identifiziere mich in Deutschland (je nach Situation) lieber als türkischer Deutscher, Kanacke und_oder als Person of Color (PoC). Meine Mutter ist weiße Deutsche.

Ich saß damals mit weißen Uni-Freunden zusammen. Wir alle cis-hetero. Und einer erzählte, dass er sich alleine fühle und bei der Partnerinnensuche zurzeit nicht erfolgreich sei. So weit, so klischeehaft das abendliche Beisammensein von 6 Männern, die sich irgendwie unterhalten. Dann fiel der oben genannte an mich gerichtete Satz.  Auch wenn ich damals nichts  sagte, will ich den Satz heute nicht mehr unkommentiert lassen. Besser spät als nie…sagt Mann doch so, oder?

Zum einen ist daran problematisch, dass die einfache und ständige Verfügbarkeit von Frauen für sexuelle Bedürfnisse von Männern angenommen wird. Darüber hinaus steckt in dem Satz, dass ein Mann über die Frauen bestimmen kann.

Nicht zuletzt aber schwingen in dem Satz Annahmen und Bilder mit. Bilder von „dem orientalischen Mann“ – Zuschreibungen, die darauf beruhen, dass bestimmte Menschen in Europa dem „Orient“ zugeordnet werden. Sie werden orientalisiert.

Ich will in diesem Text darüber sprechen, wie bestimmte Bilder und Phantasien vom „Orient“ und von „Exotik“ sich auf Männlichkeit auswirken. Darauf, wie Männer wahrgenommen werden und welche Art von Sexualität ihnen zugeschrieben wird.

Dass meine insbesondere weißen, nicht-migrantisierten Freund*innen ihre orientalistischen Phantasien auf mich projizieren und ihre Bilder im Kopf auf mich übertragen, ist keine Seltenheit – ich denke da nur an einen weißen Kommilitonen, der mich bei einem Abendessen in meiner WG als „osmanischen Dattelprinzen“ betitelte (läuft bei ihm). Nur selten aber wird die Verknüpfung zwischen Männlichkeitsbildern, Sexualität und Orientalisierung so deutlich wie in der Formulierung „sobald du deinen Harem hast“.

Das alles fängt schon früh an. Nämlich dann, wenn Sexualität und Geschlecht anfangen, eine Rolle zu spielen: In Almanya (und auch anderswo) wird Männlichkeit unter anderem über Gesichts- und Körperbehaarung definiert, gerade in der Jugend. Wer den meisten Bartwuchs hat, ist am männlichsten. Wenn schon mit 14 die Brusthaare sprießen, dann bist du in einer mehrheitlich weißen Schulklasse sicherlich der King. Ich kann mich noch gut an die Respektsbekundungen erinnern, die es damals gegeben hat.

Je länger der Bart wurde, desto besser wurde der deutsche Humor: „Wann geht’s zu ISIS?“ war einer der Sprüche, die manche Leute für besonders lustig hielten. Dass andere Freunde mit Bärten im Gegensatz dazu nur für ihre „Hipsterbärte“ aufgezogen wurden, zeigt, dass es eben einen Unterschied macht, ob du weiß bist oder nicht.

Noch heute kommt oft: „Du hast so einen vollen Bart“. Mehr Bartwuchs ist ein ziemlicher Garant für Pluspunkte auf der Männlichkeitsskala. Dass rassifizierte, orientalisierte Männer als sehr männlich wahrgenommen werden, führt zu einer Hypermaskulinisierung – heißt so viel wie: Es gibt das Vorurteil, alle Kanax wären krasse Macker, miese Unterdrücker und Patriarchen. Im Gegensatz dazu stehen natürlich die weißen Männer, die voll viel Plan von Feminismus und so haben oder zumindest niemals was gegen Frauen haben könnten. Dass das vollkommener Quatsch ist, lässt sich an Beispielen von Übergriffen auf dem Oktoberfest bis hin zum Verhalten von weißen Antifa-Mackern schnell erkennen.

Ein weiterer Punkt bei dieser Hyper-Männlichkeit ist zum Beispiel die Annahme, ich würde meiner Schwester irgendwelche Vorschriften machen, was ihr Verhalten angeht (als ob ich das könnte). So nach dem Motto:

der große Bruder muss ja wohl die Familienehre beschützen

Hyper-männliche Männer können natürlich auch ihre Sexualität nicht im Zaum halten, so das nächste Vorurteil. Über die Konstruktion von Kanax als außerordentlich männlich passiert dann auch die Konstruktion als außerordentlich sexualisiert, also sexuell aktiv oder potent. (Deshalb hatten die ja auch die Harems damals, um sich ausleben zu können, ihr wisst ja!). Die Phantasie ungezügelter Sexualität von Männern im bzw. aus dem „Orient“ hat eine lange Tradition und ist eng mit der Phantasie des Harems verknüpft. Als Beispiel sei hier nur verwiesen auf das Buch The Lustful Turk, or Lascivious Scenes from a Harem (Der Lüsterne Türke, oder: Laszive Szenen aus einem Harem) aus dem Jahre 1828, in dem ein weißer Brite seine Phantasien genau darüber aufs Papier bringt. (Dass Harems dabei überhaupt nicht das Umsonst-Bordell waren, für das sie in Europa zumeist gehalten werden, ist an dieser Stelle nicht wichtig für meinen Punkt, ich will es aber trotzdem der Vollständigkeit halber erwähnen.)

Nicht zuletzt zeigen die anhaltenden Debatten um die Ereignisse in der Nacht vom 31.12.2015 auf den 01.01.2016 und die offen rassistischen Aussagen vieler Leute über die Sexualität von bestimmten PoC ganz klar, dass diese Bilder und Diskurse auch heute immer noch präsent und wirkmächtig sind. Zum Beispiel, wenn davon die Rede ist, dass weiße Almans jetzt „ihre“ Frauen beschützen müssten vor den Anderen, den sexuell ungehemmten Männern.

Nachdem ich ein paar teilweise polemische Worte über Orientalisierung und Stereotype verloren habe, lohnt es sich noch einmal, einen persönlichen Blick auf das Ganze zu werfen.

Ich bewege mich in einer Gesellschaft, die durch all diese Bilder und Phantasien beeinflusst wird. Das heißt, ich kann davon ausgehen, dass irgendetwas von alledem einen Weg in die Köpfe von Menschen geschafft hat. Wenn eine Frau an der Bushaltestelle sich ein paar Meter entfernt, nachdem sie mir ins Gesicht geguckt hat, kann ich nur rätseln, ob sie mich als bedrohlichen hypersexuellen Kanacken wahrnimmt. Hätte sie die Reaktion bei einem weißen Mann auch gezeigt? Ich kann nicht sicher sein.

Und nein, Rassismus bleibt nicht draußen, wenn ich vom öffentlichen in den privaten Raum wechsle: Das alles begegnet mir auch immer wieder in meinem unmittelbaren Umfeld. Als klischeehafte Erwartungen, die mal mehr, mal weniger ernsthaft im Raum stehen. „Wann gibt’s den Harem? Deine Freundin_Beziehungsperson trifft ihren Exfreund, und das ist okay für dich? Und das erlaubst du deiner Schwester? Du bist bestimmt aufbrausend und schnell eifersüchtig.“. Da sind sie wieder, die Zuschreibungen. Rassistische Zuschreibungen, die sich speziell auf stereotype Männlichkeiten beziehen.

Es bleiben die Zweifel: Bin ich nur zu empfindlich? War das so gemeint? Diese Zweifel sind alltägliche Begleitungen in Kartoffel-Deutschland, wo sowieso ständig behauptet wird, dass es Rassismus gar nicht so richtig gibt.

 

Verweise
Racializing “Oriental” Manliness: From Colonial Contexts to Cologne, von Zuher Jazmati und Nina Studer, in: Islamophobia Studies Journal, vol. XX, no. X Season 2017, 87-100.

Ethnosexismus. Sex-Mob-Narrative um die Kölner Sylvesternacht, von Gabriele Dietze, in: movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies 2 (1) 2016. URL: movements-journal.org/issues/03.rassismus/10.dietze–ethnosexismus.html.


 

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Bild: Irina CC