Das bin ich, ich und meine große, krumme nicht-europäischen Nase.

Auf diesem Foto bin ich 18 Jahre alt, das ist die unbearbeitete Version. Die bearbeitete Version hat eine kleinere Nase. Ich fand mich auf dem ursprünglichen Bild sehr schön, nur hatte ich die Stimmen im Kopf, die mich während meiner Jugend begleiteten und welche negative Erinnerungen hinterlassen haben.

Bild meines Gesichts im Profil, auf dem man meine große Nase deutlich sieht
Das ist ein Bild von mir auf der Hochzeit meines Cousins

 

Es war das erste Bild von mir im Profil, das ich seit Beginn meines Teenie-Daseins mochte. Ich wollte es unbedingt als Facebook-Profilbild einstellen, nur war mir meine Nase ein Dorn im Auge. Im Kopf hatte ich die Stimmen, die, vor allem nachdem ich die Hauptschule verließ, auftauchten. Als eine unter fünf Kanaken auf der Realschule war meine Nase schon ein Einzelfall. Die Jahre darauf kamen unlustige Vergleiche wie „Pinocchio“ und ähnliches. Einmal meinte ein ‚Freund‘ mir auch sagen zu müssen, dass er noch nie in seinem Leben solch eine große Nase gesehen habe. Nun, da soll man ja mal meinen, dass deutsche Knollen-Nasen nicht anschaulich genug wären. Doch die Stimme, die stets als Verstärker diente, war meine eigene. „Oh mein Gott! Ein Bild im Profil? Von meinem Gesicht? Never.“ Gerade im Internet versuchte ich mich extra schön darzustellen – was auch immer ich darunter definierte. Ích dachte, das sei meine Chance, gezielt ein kontrolliertes Bild von mir online zu stellen. Da passt so ein Zinken natürlich nicht rein. Mit Menschen musste ich immer von Angesicht zu Angesicht sprechen, damit sie meine Nase nicht von der Seite sahen. Ganz lange bin ich mit Emo-Mob rumgelaufen, um mein Gesicht zu verdecken und einen Zopf konnte ich mir auch lange nicht binden, da mein Gesicht, meine Nase, dann ungeschützt sichtbar für alle gewesen wäre.

Als Kind hatte ich nie Gedanken, die mein Selbstwertgefühl hätten zerstören können. In dem Alter bist du auch noch nicht so stark belastet von gesellschaftlichen Anforderungen an Schönheit, die global gesehen so belastet von kolonial-rassistischen Standards sind.

Mein Vater sagte, ich solle mir nie etwas anderes sagen lassen, von niemandem! Ich hörte sein Herz zerbrechen, als ich ihn im Alter von 15 fragte, ob ich eine Nasenkorrektur haben kann, wenn ich volljährig bin. Ich habe meinen Vater vorher noch nie so enttäuscht gesehen.

 

Doch was ist schön und wieso?

Beautystandards sagen, „große Augen, volle Lippen, Stupsnase.“ Diverse Fuckboys sagen, „Ich nehm keine Frau mit ’nem Zinken“, (bitte einen großen Bogen um diese Spezies machen). Und letztes Jahr während meiner Zeit in Griechenland in einem Squat, der geflüchtete Menschen mit lebensnotwendigen Ressourcen ausstattete, meinte eine weiße Helferin, die dem west-europäischen Beautystandard perfekt entsprach: „Also ich habe ja gehört, die schönsten Frauen kommen aus Westeuropa…“ Ach, ja? Wo hast du das gelesen? In der Brigitte? Oder hat Heidi Klum dir das erzählt?! Sie sagte das in einem Raum voller Mädchen, die diesem genannten Schönheitsideal nicht entsprachen; Mädchen mit großen Nasen, wie meiner; nicht-weißen Mädchen. Ich frage sie daraufhin, was sie in den Medien sehe. Weiße, dünne Frauen mit Stupsnasen etwa? Hatte sie denn jemals etwas anderes gesehen in der Werbung einer großen Firma?

Chimamanda Adichie erklärt in ihrem TedTalk „The Danger of a Single Story„, dass sie sich die Charaktere immer weiß, blond und blauäugig vorgestellt hat, während sie Bücher las, die hauptsächlich von weißen AutorEN geschrieben waren.

Wie oft werden Frauen und Mädchen mit großen Nasen in den Mainstream-Medien repräsentiert und wie wird darauf reagiert? In Zeichentrick Filmen wird uns von klein auf gezeigt, dass böse Hexen große Nasen haben. Sie sind die hässlichen Charaktere jedes Zeichentrick Cartoons. Hat eine  Prominente tatsächlich mal eine große Nase heißt es immer: Sie ist so toll, weil sie sich so akzeptiert wie sie ist – trotz ihrer großen Nase! Was heißt das bitte? Ist das so schlimm oder was? Als wäre es das Schlimmste was einer Person passieren kann, eine nicht-europäische, große Nase zu haben.

Naja, die Kosmetikkonzerne freuen sich! Die verdienen nämlich einen Haufen Geld an dem zerstörten Selbstwertgefühl, das jungen Mädchen eingepflanzt wird.

Dies geschieht auch in den social media, vor allem bei der bei jungen Personen beliebten Plattform Youtube. Dort hypen verschiedene Youtuber*innen ihre gelungenen Nasen-OP´s und erklären wie hässlich sie ihre große Nase vorher fanden. Natürlich kann sich jede Person dazu entscheiden eine Nasen-OP zu haben oder nicht. Ich kann es auch aus einer speziellen Perspektive komplett nachvollziehen, denn die wenigsten schaffen es in unserer mit Sexismus und Rassismus belasteten Gesellschaft, sich in ihrer Haut wohluzfühlen. Aber es muss derjenigen Person auch klar sein, wieso und wie sie sich vor einem – meist sehr jungen – Publikum rechtfertigt. Denn im Endeffekt reproduzieren sie die rassistischen Standards von Schönheit und damit dieses unwohle Gefühl bei meinesgleichen. Die Medien bringen uns dieses Gefühl regelrecht bei. Es ist ein Kreislauf, der nicht endet. Dabei muss es noch nicht mal gleich eine Nasen-OP sein, die gehyped wird. Es werden uns auf unseren Bildschirmen immer mehr Billigartikel vorgeschlagen, die eine kleine Stupsnase ins Gesicht zu zaubern versprechen. Lustige Youtuber*innen kaufen diese Produkte und stellen sie in gesponserten Video-Clips vor.

 

Was mir Kraft gibt

Hoffnung kommt bei mir auf, wenn ich Menschen in den social media sehe, die ihre breite Zuschau-er*innenreichweite nutzen, um großen Nase zu normalisieren. Eda Vendetta etwa wurde von ihren Zuschauer*innen so häufig auf ihre Nase angesprochen, dass sie sogar ein Video mit zehn Fakten zu ihrer Nase mit dem Hashtag #ALLNOSEEVERYTHING als Antwort an ihre Zuschauer*innen auf ihren Channel geladen hat.

Eine weitere Person die mir diesbezüglich Hoffnung und Kraft gibt, ist Moshtari Hilal. Sie ist eine freischaffende Künstlerin aus Hamburg und befasst sich mit genau diesem Thema. Auf Instagram habe ich ihre Seite gefunden und mich von ihren Illustrationen inspirieren lassen. Ihre Zeichnungen spiegeln für mich die Realität wieder und so viel Schönheit und Tiefe. Darüber hinaus illustriert und gestaltet sie Comics. Comics von denen ich mir wünschte, sie hätten mich und viele andere in meiner Kindheit und Zeit als Teenie begleitet.

 

Zeichnung meines Gesichts mit seiner schönen großen Nase
Selbstportrait aus meinem Tagebuch

 

Meine Mutter sagte einmal, je länger du in den Spiegel starrst, desto mehr Dinge entdeckst du an dir, die du nicht magst. Damals stimmte das, je länger ich in den Spiegel schaute, desto größer erschien mir meine Nase. Sie hatte Recht, diese Einstellung meinem Aussehen gegenüber war toxisch. Heute würde ich nichts mehr finden, das ich verändern wollte.

 

Westnasen werden gehyped

Während meiner Zeit in Kosova lernte ich meine Nase lieben. Dort war der gesellschaftliche Druck eine eurozentrische Nase zu haben viel geringer, ich wurde nicht andauernd damit konfrontiert so wie es in Deutschland der Fall ist. Dort entspricht meine Nase der Norm. Erst seitdem die Urbane-Szene – davon meistens junge Frauen und Mädchen – begonnen hat, den Westen übertrieben zu hypen, begann auch der Wahn mit Schönheitsoperationen. Amerikanische und türkische Privatkliniken preisen die besten und teuersten Nasenkorrekturen an, während die städtischen Kliniken sie schon zu einem, für kosovarische Verhältnisse, bezahlbaren Preis anbieten. Dafür kommt die Quittung in den meisten Fällen nach der OP: Unterbezahlte und entsprechend unmotivierte Ärzt*innen, deren Job ein Kampf ums Überleben darstellt, haben schon für die eine oder andere Person zu schwerwiegenden Folgen geführt…

Wie dem auch sei, sobald ich nach Deutschland kam, fiel mir die Größe meiner Nase wieder ein. Aber auch in Kosova sind kolonial-rassistische Schönheitsstandards bereits tief verankert. Von manchen bin ich selbst betroffen und für andere muss ich mich sensibilisieren. So werden zum Beispiel helle Haut und Stupsnasen in vielen Folklore-Songs idealisiert.

Heute schreibe ich darüber – mit vollem Bewusstsein, was Personen über mich sagen/denken könnten. Ich weiß, dass es da draußen Mädchen gibt, die dasselbe Problem haben. Und zwar nicht mit meiner Nase, sondern mit euch, diejenigen, die uns dieses schlechte Gefühl geben. Das Bild ist für euch.

 

Kleines seitliches Profilbild mit hochgestreckten Mittelfinger
Ein Bild von mir, meinem Zinken und meinem gehobenen Mittelfinger

Bilder: © privat